Wer hat gesagt, dass es in der Sommerpause der 3. Liga keine interessanten Themen gibt? Neben diversen Transfers hat man nun auch mal Zeit, sich mit Thematiken auseinander zu setzen, die während der laufenden Saison oft zu kurz kommen. Aus diesem Grund haben wir Sportpsychologe Prof. Dr. RenĂ© Paasch zum Interview gebeten und interessante Einblicke gewonnen. Er bietet sportpsychologische Beratung und Betreuung im Breiten- und Spitzensport sowie Coaching im betrieblichen Umfeld und Gesundheitsförderung an. Mit seiner UEFA B-Lizenz, mehrjähriger Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Profi- und Amateurvereinen und zahlreichen Betreuungen von Kickern ist er einer der FuĂŸballexperten im Netzwerk Die Sportpsychologen.

Sportpsychologe Prof. Dr. René Paasch im Interview

Hallo, Herr Prof. Dr. Paasch. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit fĂ¼r uns nehmen.

Sehr gerne. Ich freue mich auf wirklich viele tolle und wichtige Fragen. Ich kann immer nur fĂ¼r unser Feld der Sportpsychologie sprechen. Wir sind auch sehr dankbar, dass wir unsere Themen in der Ă–ffentlichkeit ein bisschen mehr ausbreiten dĂ¼rfen, weil das an der einen oder anderen Stelle einfach viel zu kurz kommt.

Super, dann steigen wir doch gleich ein: Wie sehen Sie denn – Stand heute – die Bedeutung der Psychologie im ProfifuĂŸball? Hat sich diese in den letzten 10, 20 Jahre irgendwie verändert und wird ihr jetzt mehr Bedeutung beigemessen als frĂ¼her?

Die Entwicklung begann im Jahr 2006 an, als die deutsche Nationalmannschaft den (Sport-)Psychologen Hans-Dieter Hermann engagiert. Der ist immer noch dort ist – was ja auch ein gutes Zeichen ist. Gerade Kontinuität ist in diesem Kontext sicherlich sehr wichtig. Wir sehen aber auch an der einen oder anderen Stelle, dass es noch viele Menschen gibt – gerade im Kontext von Leistungssport – die das eher als Schwäche titulieren. Die sagen “brauchen wir nicht, die Arbeit findet auf dem Platz statt” oder “die Qualität ist in den FĂ¼ĂŸen der Spieler und die mĂ¼ssen lernen, von alleine damit zurechtkommen, weil sie bekommen viel Geld dafĂ¼r”. Oftmals wird nicht verstanden, was der Kopf fĂ¼r groĂŸartige Arbeit leistet und dass man den auch trainieren kann. Wir merken auch, dass gerade ganz besonders der Nachwuchs, auch im Kontext von Nachwuchsleistungszentren (NLZ), mittlerweile bereit ist, jemanden zu engagieren.

“Es gibt ein Problem, Psychologe klär das mal.”

Ich muss aber leider auch ein “Aber” ergänzen: Wenn wir heute U10 bis U21-Mannschaften haben, plus Trainer plus Co-Trainer plus natĂ¼rlich auch Menschen, die dazu gehören, z.B. die Eltern, dann reicht ein Kollege natĂ¼rlich nicht aus, um nachhaltig mit Menschen zu arbeiten. Zudem ist das auch eine Vorgabe des DFB, dass man als NLZ jemand engagiert. Hinzu kommt, dass diese Mannschaften ja sehr leistungsorientiert sind und alles danach ausgelegt ist, auf dem Platz Arbeit zu leisten. Das heiĂŸt: Die Spieler haben 90 Minuten Training, sie werden zum Teil dann zum Training gefahren oder mĂ¼ssen auch andere Dinge noch leisten, um Ă¼berhaupt das Training absolvieren zu können. Somit ist Zeit oder ein Zeitfenster fĂ¼r sportpsychologische Arbeit ganz oft nicht gegeben. Und die ist dann ganz oft auch sehr problembehaftet. Dann heiĂŸt es: “Es gibt ein Problem, Psychologe klär das mal.”

Aber wir haben zwei wichtige Felder und das sind Gesunderhaltung aber auch Leistungsoptimierung. Wenn ich aber nicht frĂ¼hzeitig präventiv arbeite, kann ich auch nicht nachhaltig auf der Hirnebene irgendwas verändern. Und da sehe ich ganz oft Kritik. Und wenn man das groĂŸe Ganze ansieht – nämlich die ersten drei Ligen – vergessen wir, dass nur ein Drittel von den ersten drei Ligen einen angestellten Sportpsychologen haben. Und das zum Teil aber auch nur in Kooperation. Konkret sieht das so aus, dass da irgendwo eine Visitenkarte liegt. “Du kannst den ja mal anrufen, wenn du Probleme hast”. Aber der Psychologe ist nicht in den Teamprozess mit eingebunden und da sieht man ja auch, dass jeder Verein, jeder Profilverein, immer noch selbst entscheiden kann, ob man einen Sportpsychologen ins Boot holt oder nicht.

Aber sehr wohl haben wir heute mindestens zwei oder drei Trainer, wir haben vier, fĂ¼nf Spielanalysten, wir haben Physiotherapeuten. Aber wo ist denn der Mensch, der mit dem wichtigsten Teil arbeitet, nämlich mit diesen hundert Milliarden von Neuronen, also mit dem Kopf? Da sehe ich im FuĂŸball oft noch sehr altertĂ¼mliche Herangehensweisen, was dieses Thema angeht.

Welcher Mensch steckt hinter dem Profi?

Bemerkt man eine Veränderung in der Haltung der Funktionäre?

Insbesondere merkt man natĂ¼rlich, dass die jĂ¼ngere Trainergeneration anders damit arbeitet. Da wird schon eher erkannt, dass nicht nur die Taktik, die Athletik oder die menschliche Nähe sich auf die Teamentwicklung auswirken, sondern dass man auch den Menschen dahinter verstehen muss. Als Trainer muss ich richtig kommunizieren, muss wissen, wie ich den Spieler anspreche. Wie kann ich das Potential des Einzelnen entfachen und vor allem, wie kann ich diese verschiedenen Charaktere zusammenbringen? Da sind Teamentwicklungsprozesse gefragt. Wir sehen immer wieder, dass es eben heute nicht mehr ausreicht, Spieler nur nach ihren sportlichen Möglichkeiten zu kaufen. Die mĂ¼ssen auch zum Verein passen. Da kommt es durchaus vor, dass man als Dienstleister gerufen wird: “Pass mal auf, RenĂ©, gib doch mal eine psychologische Expertise zu einem bestimmen Spieler.”

Das erste, was ich mache: Ich schaue mir kein Spiel an, sondern ich beobachte ihn im Training. Da liegt auch der SchlĂ¼ssel: Wie geht er zum Training, wie spricht er mit seinen Mitspielern, was macht er, wenn er mal einen Fehler macht? Also alles, was eigentlichen einen FuĂŸballer ausmacht, wĂ¼rde ich interessant finden und nicht nur das, was ich im Wettkampf sehe. NatĂ¼rlich ist in diesem Kontext auch wichtig zu wissen, welche Philosophie der Verein verfolgt. Was braucht der Verein und passt dieser Charakter zum Verein?

Diese Vielschichtigkeit wĂ¼rde ich mir viel öfter wĂ¼nschen und eben nicht nur, sich Statistiken anzuschauen. Am Ende des Tages sind Menschen doch nicht festzumachen an irgendwelchen Werten. Viel wichtiger ist: Wie ist der Kontext, wie ist der Rahmen, wie der Verein und kann der Spieler mit diesem Verein auch umgehen und kann er sich mit diesem Verein identifizieren? Andernfalls werden wir vermutlich eben nicht diese Potentialentfaltung und diese mannschaftliche Entwicklung sehen, die wir uns wĂ¼nschen.

“Ich richte dich auf, ich bin bei Dir, ich begleite dich.”

Tatsächlich sehen wir auch, dass es Spieler gibt, die nur bei einem Verein oder bei einem Trainer auch wirklich performen und ihre Leistung abrufen. Wenn er dann wechselt, fällt er in ein Loch. Wie kommt es zu so etwas?

Es liegt oft daran, was wir suchen. Wir sind Suchende. Wir sind auf der Suche nach Anerkennung, nach Wertschätzung. Wir wollen gelobt werden. Gerade das Thema Selbstvertrauen, wird ganz oft vernachlässigt. Wir definieren uns Ă¼ber soziale Kanäle, wir definieren uns Ă¼ber gute Medienberichterstattung und und und. Allerdings machen wir uns dadurch auch abhängig. Was ist, wenn das alles nicht stattfindet? Kenn ich mich dann wirklich? Kenn ich meine Möglichkeiten? Kenn ich meine Stärken? Und da mĂ¼ssen wir halt ansetzen und das ist ein Prozess, den ein Trainer möglich machen kann. Also ein Trainer, der mit mir diesen Weg geht, der mich auf Augenhöhe abholt, der mich wertschätzt, der sagt, “Wenn Du Fehler machst, ist das nicht schlimm, mach weiter. Ich richte dich auf, ich bin bei Dir, ich begleite dich.” Bei so einem Trainer entwickle ich mich. Und nach solchen Trainern suchen wir auch. Wenn wir erfolgreiche Trainer sehen, dann ist es oft eben nicht das Taktische, das den Trainer erfolgreich macht, sondern so zwischenmenschlicher Zauber.

Es geht darum, vom Trainer das GefĂ¼hl zu bekommen, gesehen zu werden und Anerkennung zu bekommen. Ich glaube, dass dieser Zauber in den letzten 10-15 Jahren einfach extrem vernachlässigt worden ist. Man hat sich ganz viel mit Taktik auseinandergesetzt, mit Spielanalyse. Wir können heute wirklich alles im kleinsten Detail darstellen.

“Wer nicht liefert, der fliegt.”

Wir haben uns mit psychologischen Parametern auseinandergesetzt. Aber am Ende des Tages ist es eben nicht der Körper, sondern der wird gesteuert vom Kopf. Wenn ich den nicht mit trainiere und wenn ich den Mensch dahinter nicht berĂ¼cksichtige, dann kann ich zwar Vorgaben machen, darf aber nicht erwarten, dass diese vom GegenĂ¼ber erfĂ¼llt werden können. Die durchschnittliche Zeit eines Trainers in der Bundesliga ist ungefähr 1,2 Jahre – und warum? Weil man nur an Ergebnissen und Tabellenständen interessiert ist. Noch viel schlimmer: Wir haben heute richtig groĂŸe Funktionsteams nicht, um Menschen zu entwickeln oder Potential zu entfalten, sondern um Spielergebnisse zu liefern. Punkt. Und wer nicht liefert, der fliegt.

Eine Kontinuität wie in Heidenheim, das wĂ¼nsch ich mir einfach viel mehr. Lasst den Trainer doch wachsen, lasst den Trainer auch Fehler machen, gebt ihm Zeit und Raum. Und gebt auch den Spielern die Möglichkeiten, denn sie sind ja keine Maschinen.

Der Verlust von Vorbildspielern

FĂ¼r welche Art Spieler werden solche Gutachten von Vereinen angefordert? Sind das Bundesligavereine oder auch niederklassige Vertreter, die so etwas anfragen?

Selbst im Amateursport gibt es sehr ambitionierte Clubs, die sich sehr viele Gedanken machen. Man sieht ja auch, dass gerade Trainer niederklassiger Vereine sehr ambitioniert sind und weiterkommen wollen. Die interessieren sich ganz besonders dafĂ¼r, weil ihnen ja mittlerweile auch aufgefallen ist, dass es eben nicht nur das Training ist, das einer Mannschaft Möglichkeiten bietet zu wachsen. Je mehr ich Ă¼ber einen Spieler weiĂŸ, desto passgenauer kann ich ihn begleiten und deswegen suchen wir ja auch nach Charakteren, die zum Verein passen. Wir suchen nach Menschen, die bereit sind, sich fĂ¼r diesen Verein wirklich auch extrem einzusetzen und das nicht nur auf dem Platz, sondern bitte auch darĂ¼ber hinaus. Denn sie haben ja auch eine repräsentative Aufgabe. Es gibt junge Menschen, die sich danach sehnen, solche Vorbilder zu haben. Genau das ist etwas, was wir so ein bisschen im FuĂŸball verlieren. Wo sind denn diese Kinder, die unbedingt so sein wollen wie Spieler XYZ? Wir haben zum Teil diese Spieler gar nicht mehr, weil sie einfach diese Rolle nicht mehr spielen. Sie sind in ihrer eigene Blase, das hat sicherlich auch etwas mit Druck und Stress zu tun, keine Frage. Aber dieser Vorbildspieler, dieser Charakter, das ist etwas, was sich ein bisschen verliert, weil man eben halt ganz oft nur noch guckt, wie man selbst zurechtkommt in diesem System.

Ein Beispiel: Es kann passieren, dass ein Spieler mit mir arbeiten möchte. Das heiĂŸt aber nicht, dass ich mit ihm arbeiten darf! Da muss ich dann erstmal den Spielerberater fragen, vielleicht auch noch den Papa und wenn alle mich dann auch gut und nett finden, dann sehe ich mir den Spieler an. So komplex ist das geworden, solche Ich-AGs haben wir mittlerweile zum Teil. Aber das funktioniert nicht, weil es gewinnt eben nicht der Einzelne. Es gewinnt auch nicht nur die erste Elf, die auf dem Platz steht. Vielmehr gewinnen 23, 24, 25 Spieler plus Reinigungskraft plus alle, die dazugehören. Alle sind extrem wichtig fĂ¼r so einen Erfolg. Das vergessen ganz viele. Deswegen meine Meinung: Wenn wir uns mehr gemeinsam und auf dem Weg machen wĂ¼rden, wären wir auch erfolgreicher.

Oftmals schlechter Einfluss von Spielerberatern

Haben die Spielerberater so einen Einfluss, dass diese den Spieler tatsächlich auch vor Ihnen als Psychologen abschirmen?  Denen also sagen “mach das lieber nicht”?

Genau, in erster Linie ist es ja auch ein Haifischbecken und Spielerberater sind daran interessiert, Spieler zu verkaufen oder eben daran zu partizipieren. Alles, was möglicherweise zu Unsicherheit fĂ¼hrt oder ein anderes Bild Ă¼ber den Spieler darstellen könnte, könnte das ja gefährden. Also sichern die sich erst einmal ab. Mit wem möchte man arbeiten? Kann man dem vertrauen? WĂ¼rde der wirklich auch das Potenzial beim Spieler entfalten? NatĂ¼rlich bearbeiten die ihre Spieler auch so, dass sie begeistert sind und weiter bei den Beratern bleiben. Aber die Erfahrungen, die ich mache, besagen: Begeisterung entsteht ganz oft nicht nur im Verkauf, sondern auch in der Pflege. Ich habe vor kurzem mal einen Spielerberater gefragt: Ja was machst du denn? Bist du Psychologe? Bist Du Pädagoge? Was machst du? Bist du Mentor oder was ist fĂ¼r dich deine sogenannte “ganzheitliche Pflege”? Er konnte mir darauf keine Antwort geben. Dabei meinte ich diese Frage nicht mal böse.

Am Ende des Tages ist es das Geschäft. Aber wenn ich einen Spieler auch wirklich als Menschen sehe, dann geht es nicht primär darum, einen Spieler an einen anderen Verein zu verkaufen, sondern ich bin fĂ¼r ihn da, geh mit ihm durch schlechte Zeiten. Ich kenne seine Familie. Ich kenne seinen Hintergrund. Also wirkliches Interesse an jemand zu haben, das wĂ¼rde ich mir wĂ¼nschen. Solche Agenturen gibt es durchaus, aber es gibt leider auch ganz viele Spielerberater, die möchte man einfach nicht persönlich kennen.

Was erwartet Euch in Teil II?

Im morgigen zweiten Teil geht es um (medialen) Druck, Stress, Teambuilding und eine Einschätzung bezĂ¼glich des Löwen-Trainers Michael Köllner.

Hier findet Ihr sämtliche Teile des Interviews

Teil I (dieser Artikel)
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI

Vielen Dank an unseren freien Mitarbeiter “Kassenwart”, der das Gespräch mit Prof. Dr. Paasch fĂ¼hrte.

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