Sportpsychologe Prof. Dr. René Paasch arbeitet mit Einzelsportlern, Trainern und Teams aus verschiedenen Sportarten. Seine Schwerpunkte sind u.a. Führung und Teamentwicklung, Kognitives Training, Psychologisches Aufbautraining nach Sportverletzungen, Persönlichkeits- und Leistungstests, Mentales Training, Stressmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement und der Umgang mit Medien. Im Interview (hier gehts zu Teil I) erläutert Paasch sportpsychologische Themen und gibt heute auch eine Einschätzung zu Löwen-Trainer Michael Köllner ab.
Interview mit Sportpsychologe Prof. Dr. René Paasch
Hat sich der mediale und öffentliche Umgang mit Themen wie Stress oder Druck durch Fälle wie Robert Enke oder Babak Rafati nicht verbessert? Er war ja Schiedsrichter, der auch unter Stress stand und damit nicht mehr klar kam. Mit dieser medialen Öffnung der Schicksale hätte ich erwartet, dass man nun sowohl in den Vereinen als auch im Umfeld (Familie, Spielerberater, etc.) mit solchen Themen offener umgeht. Ist das denn nicht der Fall?
Wir haben in der Gesellschaft das Problem, dass dies mit Schwäche assoziiert wird – und Schwächen gibt es nicht im Fußball. Wir sind alle nur stark und mächtig und Weicheier gibt es auch nicht. Deswegen haben wir ja auch so ein Problem mit Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, die sich anders verhalten. Das heißt: Diese Öffnung, gerade im Kontext von Fußball, die fehlt mir manchmal. Natürlich gibt es Initiativen, die mittlerweile aktiv sind. Es gibt mental gestärkt, es gibt Mentaltalent, es gibt die Initiative der Deutschen Sporthochschule Köln, die auch sehr stark versucht, den Fußball mehr für dieses Thema zu sensibilisieren. Aber auch die haben mittlerweile ein bisschen aufgegeben. Das ist nicht böse gemeint. Die arbeiten jetzt auch nur noch mit Nachwuchs. Einmal mehr macht der Profifußball, was er will. Da es ja keine Vorgaben gibt, müssen die sich auch nicht damit beschäftigen.
Mahnendes Beispiel Max Eberl
Wir sehen es ja auch ganz aktuell an Max Eberl: Wo war denn da der Psychologe, der frühzeitig erkannt hat, dass er ausgebrannt ist? Wer hat sich denn für ihn interessiert? Niemand hat sich dafür interessiert, sonst wäre das nämlich nicht passiert. Erst wenn das Kind so richtig in den Brunnen gefallen ist, dann holt man sich einen Psychologen. Aber ich bin auch kein Feuerwehrmann. Ich kann auch nicht von heute auf morgen die Situation verändern, sondern ich muss in diesen Prozess eingebunden werden. Da spielt der Verein eine Rolle, die Identität, die Philosophie. Welche Gedanken haben die Menschen, wie arbeiten sie zusammen, was ist die Kommunikation und was bringen sie mit? Es ist unfassbar vielschichtig, aber man muss auch bereit und offen dafür sein.
Natürlich nehmen wir Tendenzen und Veränderungen wahr. Für mich sind sie einfach noch viel zu wenig, denn ganz oft ist es so, dass sie sagen: “Hey ist nicht böse gemeint, der hat 100.000 Euro Monat als Einkommen, der wird sich ja wohl einen Psychologen selbst leisten können.” Da liegt auch ganz oft das Problem. Dann kann ich zwar mit dem Einzelnen arbeiten, aber das ist ja ein Teamprozess, ein Teamentwicklungsprozess. Und wie kann ich an einem Team arbeiten, wenn ich eben halt nur von außen mit dem Einzelnen arbeiten kann? Dann kann ich zwar den Einen auf den Weg bringen, habe aber in den seltensten Fällen gleichzeitig Einfluss auf das Team.
Therapie gegen Ladehemmung eines Stürmers?
Wenn jetzt ein Team tatsächlich in einer schlechten Phase ist und der Torjäger seit zehn Spielen Ladehemmung hat, hört man ja auch mal, dass sich der Spieler auf die Couch beim Psychologen legen soll und dieser ihn mental versucht zu stärken. Wie sinnvoll sind solche kurzfristige Aktionen? Geht es nicht eigentlich nur, wenn schon eine langfristige Beziehung zu dem Therapeuten besteht und bereits ein entsprechendes Vertrauensverhältnis aufgebaut ist?
Also erstmal muss man ja auch unterscheiden zwischen dem Sportpsychologen und dem Therapeuten. Der Sportpsychologe kann einen Prozess begleiten, der kann Leistung optimieren und gesund halten. Er kann aber niemals therapeutisch tätig werden, denn das darf er auch nicht. Aber er kann Dinge erkennen und wenn er erkennt, dass jemand viele traurige Phasen hat oder sich auffällig verhält oder Ängste entwickelt, dann muss er den Weg zu einem Therapeuten vermitteln, denn der darf wirklich auch nur therapeutisch arbeiten.
Wenn aber ein Spieler plötzlich das Tor nicht mehr trifft oder nicht zu seiner Leistungsfähigkeit zurück findet, dann helfen natürlich auch Gespräche. Aber man muss auch gezielt an seinem Verhalten arbeiten. Ganz oft ist es so, dass die Spieler sehr fehlerorientiert sind. Sie denken sehr viel über Fehler nach und erzeugen für sich einen immensen Druck. Wenn man Druck erzeugt, gibt es auch immer im Gegendruck. Aber Leistungsfähigkeit entsteht immer nur dann, wenn Spieler gelöst sind. Wenn sie sich etwas zutrauen und wenn sie mutig sind. Dann helfen sportpsychologische Techniken und Methoden, um jemand da rauszuholen.
Es gibt kein Zaubermittel
Aber es ist eben nun mal kein Zaubermittel, das ist ein Prozess, der bei dem einen oder anderen Spieler auch mal länger dauern kann. Es gibt jedoch auch Möglichkeiten, mit denen man Spieler relativ schnell auf die Spur bringt. Das kann man schaffen, aber es gibt keine generelle Lösung. Denn warum ein Spieler nicht funktioniert, ist komplex. Das kann im familiären Bereich begründet sein. Es kann sein, dass er Probleme mit dem Trainer hat oder dass die Beziehungsgestaltung innerhalb des Teams nicht passt. Vielleicht wurde er medial angegriffen.
Es gibt unfassbare viele Beispiele, die einen Spieler verunsichern können. Wenn sich der Spieler mit der Verunsicherung beschäftigt, dann hält er dieses Fenster aufrecht und findet kaum Möglichkeiten, wieder herauszufinden. Das sehen wir ganz oft, wenn Teams nicht funktionieren. Dann kritisieren sie sich extrem gegenseitig. Die Trainer sagen beispielsweise ganz oft in Mannschaftsitzungen – und das meine ich jetzt gar nicht böse: “Jungs, Ihr müsst zusammenrücken”. Die erste Frage, die ich dem Trainer stelle: Wie sollen die Jungs das machen? Dann guckt er mich an. Man redet so oft von Teambuilding und Teamentwicklung. Aber sagt den Jungs doch konkret, wie sie es tun sollen! Das findet oft nicht statt sondern erfolgt oft nur oberflächlich. Oder sie rufen rein: “Konzentrier Dich!” Dann sag ich: Ja, dann erklär dem Spieler, wie er das machen soll.
Trainer sind oft überfordert
Es fehlt oft das Handwerkszeug, konkret den Jungs dabei zu helfen, aus dieser Situation rauszukommen. Wenn bei einem Team nach dem 0:1 die Köpfe runtergehen, dann muss ich den Jungs doch erklären können, was sie tun müssen, um da rauszukommen. Also dieser Lösungsweg, aktiv mit Menschen und Teams zu arbeiten, das wird jetzt auch über den Think Tank und die DFB-Spielerakademie auch gefördert und mit eingebunden. Das heißt, das Menschliche spielt jetzt eine Rolle. Es wird eine Zeit dauern, bis das wirklich an der Basis ankommt. Es werden aktuell aber noch ganz entscheidende Fehler gemacht. Wir sehen es im Nachwuchsfußball.
Der Schlüssel für Wachstum, also dafür, dass mehr da oben ankommen, ist der Trainer. Wir wissen ganz oft auch aus unserem eigenen Leben, dass wir uns sehr gerne an Menschen zurück erinnern, die uns gutgetan haben, die uns abgeholt haben, die uns begeistert haben. Wenn aber ein Trainer schon sehr früh Druck erfährt und über Ergebnisse definiert wird, und infolge dessen Kinder sanktioniert werden und ihnen keine Chance gegeben wird, sich langfristig zu entwickeln, dann wissen wir, was da rauskommt. Nämlich, dass 0,003% der Kinder im Profifußball ankommen. Wo sind denn die ganzen Talente? Meine These ist, dass der größte Teil wegbricht, weil nicht die richtigen Menschen am richtigen Ort sind.
Wie schätzt Prof. Dr. René Paasch Michael Köllner ein?
Wie sehen Sie in dem Zusammenhang unseren Trainer Michael Köllner im Thema Psychologie? Wie modern ist er da von seiner Art des Umgangs mit den Spielern?
Ich kenne ihn nicht persönlich, habe seinen Weg jedoch ein bisschen verfolgt. Ich kann natürlich nicht sagen, wie er persönlich mit der Mannschaft arbeitet. Ich kann sagen, was ich so medial wahrnehme. Ich hab auch das Buch gelesen, das er geschrieben hat und ich glaube sagen zu können: Von außen betrachtet hat er ein großes Interesse an Menschen. Und er hat auch Lust, mehr zu machen als was eben nur auf dem Platz stattfindet.
Wahrscheinlich auch, weil er für sich auch gespürt hat, dass Trainertätigkeit allumfassend ist und dass man viele verschiedene Berufsfelder mit einbinden muss, um Spieler zu erreichen. Aber ob es am Ende des Tages dann auch ein Handwerkszeug ist, das er benutzt, muss man sehen. Weil wir wissen ja auch, dass wenn Menschen unter Druck oder unter Stress geraten, dann agieren sie eigentlich im Grunde nicht so, wie sie es sich gerne wünschen, sondern reagieren eher auf Gegebenheiten.
Köllner erkennt die Wichtigkeit des Zwischenmenschlichen
Deswegen glaube ich, dass er aufgrund seiner Erfahrung verstanden hat, dass eben halt auch das Zwischenmenschliche sehr wichtig ist, dass der Spieler zu sehen ist, dass die Idee hinter ihm zu sehen ist und dass er da auch komplexer herangeht. Aber das ist nur eine Außenperspektive. Wenn ich mir so seine Posts anschaue und wenn er so spricht in der Öffentlichkeit, dann macht es da den Anschein, dass er halt über den Tellerrand hinaus an den Spielern interessiert ist.
Teil III: Rituale und Extremsituationen
Der dritte Teil des Interviews mit Prof. Dr. René Paasch behandelt unter anderem die Themen Rituale und Extremsituationen. Zu Lesen gibts das Ganze ab morgen Vormittag – nicht verpassen!
Hier findet Ihr sämtliche Teile des Interviews
Teil I
Teil II (dieser Artikel)
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Vielen Dank an unseren freien Mitarbeiter “Kassenwart”, der das Gespräch mit Prof. Dr. Paasch führte.