Herzlich Willkommen zur TAKTIKTAFEL Analyse des letzten Heimspiels der Saison 2020/21.

Unser TSV 1860 München traf auf die Zweitvertretung des Nachbarn aus der Harlachinger Seitenstraße. Um sämtlichen Spekulationen vorzugreifen: Es war im Endeffekt eine – auch wenn ich gerne etwas anderes schreiben würde – gerechte Punkteteilung.

Die Mannschaft der sogenannten Amateure spielte aus einer 4-2-3-1 Grundformation. Im Angriffsdrittel wurde jedoch meist so verschoben, dass mit Sieb, Motika und Singh drei Spitzen in vorderster Front anzutreffen waren. Gegen den Ball setzten die Roten im eigenen Verteidigungsdrittel auf ein tiefes, flaches 4-4-1-1. die Pressinglinie war wie die Defensivlinie meist auf tiefstem Niveau angesetzt

Michael Köllner stellte die Löwen wie üblich im 4-1-4-1 auf. Tallig in der Rolle des Box-to-Box Spielers sollte Dressel gegen den Ball als zweiter Sechser unterstützen. Bei eigenem Ballbesitz schlossen entweder Lex oder Biankadi (manchmal auch beide gleichzeitig) zu Mölders in die vorderste Angriffsreihe auf. Damit agierten die Löwen offensiv entweder mit einer 4-4-2 Raute oder 4-3-3 offensiv. Der TSV 1860 München setzte gegen den Ball seine Pressinglinie relativ hoch und die Defensivlinie im mittleren Bereich an.

Die statistischen Zahlen zum Spiel

TSV 1860 Seitenstraße II
Ballbesitz 64% 36%
Passgenauigkeit 83% 79%
Defensive Zweikampfquote 59% 65%
Schüsse 8 11
davon aufs Tor 3 5
PPDA* 7,83 18,39
*(zugelassene Pässe pro Defensivaktion)

 

Diese Zahlen sind, wenn man sie isoliert betrachtet, ein Indikator dafür, dass wir mit dem TSV 1860 München eine klar dominante Mannschaft gesehen haben und einen Gegner, der kaum Zugriff hatte. Das ist aber, wenn man die taktische Herangehensweise der Harlachinger ans Spiel sieht, leider ein Trugschluss.

Eigentlich gute PPDA-Werte des TSV 1860 gegen die Seitenstraße…

Beginnen wir mit der PPDA, die ja ein Indikator für die Pressingintensität darstellt. Der TSV 1860 München hat in den seltenen Fällen, wo er hätte pressen können, durchaus versucht, das zu tun und auch die Zweikämpfe um den Ball gesucht. Die PPDA verrät uns aber nicht, ob die gegen den Ball gesetzten Aktionen auch erfolgreich waren. Und sowohl die abgefangenen Pässe als auch die defensive Zweikampfbilanz besagen, dass die Spieler der Löwen diesbezüglich zwar bemüht waren, aber in den relevanten Zonen leider kaum Zugriff auf die Gegenspieler bekamen. Gegen den Ball liefen die in anderen Spielen defensiv oft optimal agierenden Löwen dem Geschehen in vielen Situationen hinterher.

So konnte die Mannschaft von der Säbener Straße durch das überfallartige vertikale Spiel, das sie auf den Platz brachten, mit Überzahl bei eigenem Ballbesitz in den Angriffszonen agieren. Besonders die Mittelfeldspieler der Löwen fanden kaum zur gewohnten Aggressivität. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielen, in denen der TSV 1860 besonders in der Rückwärtsbewegung schneller war als die jeweiligen Gegner und deshalb vor der eigenen Box klare numerische Vorteile hatte, liefen die Mittelfeldspieler ihren Gegenspielern aus der Seitenstraße meist hinterher. Ob sich da nun bereits eine gewisse Müdigkeit zum Saisonende hin bemerkbar macht oder ob dies an anderen Faktoren liegt, kann ich leider nicht beurteilen. Am kommenden Samstag muss das klar besser werden.

Ein Blick auf die abgegebenen Schüsse

Dass die Schuss-Statistik isoliert betrachtet eher Vorteile im Spiel für die Gäste sieht, ist ein Resultat der taktischen Herangehensweise der gegnerischen Mannschaft an die Partie. Wie schon in anderen Spielen, in denen sich die Gegner bei Ballbesitz des TSV 1860 München vor dem eigenen Strafraum einigelten, schafften es die Löwen nicht oft genug in aussichtsreiche Positionen zu kommen, um erfolgreich aufs Tor der Gäste zu schießen. Aus 29 zu Ende gespielten Positionsangriffen konnte der TSV 1860 München lediglich zwei Torschüsse absetzen. Dazu kommen zwei Strafstöße, zwei Schüsse nach Standardsituationen und zwei Schüsse nach Ballgewinn im Angriffsdrittel. Insgesamt also acht Schüsse für die Sechzger.

Bei 37 in die gegnerische Box gespielten Bällen und achtzehn daraus folgenden Ballkontakten in der Box ist das schlicht und ergreifend eine zu geringe Ausbeute. Die Fähigkeit, Ballbesitz- und Feldüberlegenheit in Torchancen umzumünzen, war auf Seiten des TSV 1860 München gegen die tief verteidigenden Harlachinger nicht vorhanden. Vor allem deshalb, weil der Gegner der Löwen es sehr gut verstanden hat, das Spielgerät aus dem Strafraumzentrum herauszuhalten.

Chancen aus dem Spiel sind eher Mangelware…

Nur drei Ballkontakte gab es im Strafraum für die Sechzger zentral vor dem gegnerischen Tor. Die größten Chancen hatten dadurch Lex und Biankadi. Lex vergab leider in der 84. Minute gegen den herausstürzenden Hoffman. Aber schon viel früher, nämlich in der Anfangsphase (2′) wurde Biankadis Schuss mit dem Innenrist, der die beste Chance für den TSV 1860 München aus dem Spiel heraus darstellte, durch einen Verteidiger mit dem Resultat eines Eckstoßes geblockt. Spitz oder zumindest mit dem Vollspann hätte die Kugel möglicherweise in diesem Moment zum 1:0 eingeschlagen, weil eine ganz andere Wucht hinter dem Ball gesteckt hätte. Das war meines Erachtens einer der ganz wichtigen Momente in diesem Spiel. Zu diesem Zeitpunkt kann man das freilich noch nicht wissen. Retrospektiv aufgrund der wenigen Bälle, die die Sechzger im Zentrum der gegnerischen Box bekamen, aber leider klar ein spielentscheidendes Ding.

…aber auch so hätte es für drei Punkte reichen können

Nichtsdestotrotz hat die Offensive der Löwen immerhin zwei klare Strafstöße zugesprochen bekommen. Wenn der Schiedsrichter das Foul gegen Belkahia in der Schlußphase im Strafraum auch noch gesehen hätte, wäre auch ein dritter Elfmeterpfiff möglich und ebenso klar berechtigt gewesen.

Gegen diesen Gegner hätte es aber bei konsequenterer, aufmerksamerer Arbeit gegen den Ball im Mittelfeld auch mit zwei eigenen Toren reichen müssen. Speziell die Situation zum 1:0 für die Mannschaft aus der Seitenstraße war für mein Verständnis schlecht vom TSV 1860 verteidigt worden. Dazu aber etwas weiter unten mehr.

Die restlichen Zahlen der Statistik bilden genau das ab, was man auf dem Platz gesehen hat. Selbst wenn man das Spiel nicht gesehen hat, kann man diese Zahlen dort einordnen, wo sie hingehören. Die hohe Passgenauigkeit ist kein Resultat vieler Rückpässe, wobei man natürlich auch sagen muss, dass aufgrund der tiefen Staffelung der gegnerischen Mannschaft speziell die Defensivspieler der Sechzger im Spielaufbau viele Querpässe in den eigenen Reihen spielen mussten, bis eine geeignete offensive Anspielstation gefunden werden konnte.

Die Tore beim Spiel TSV 1860 – Seitenstraße II

Das 0:1

Die Situation, in der das 1:0 für den Gast entsteht, ist eine Verkettung von schlechtem Defensivverhalten mehrerer Akteure der Löwen. Aber der Reihe nach.
Zunächst schlägt Steinhart einen langen Ball aus der linken Halbposition nahe der Mittellinie in der eigenen Spielfeldhälfte in Richtung Strafraum. Beim Versuch, diesen Ball zu erreichen, kommen Lex und dessen Gegenspieler Che ins Straucheln und stürzen beide (Foul oder nicht und wenn ja von wem an wem ist selbst bei öfterer Betrachtung für mich nicht zu klären). So kommt Feldhahn an der eigenen Strafraumgrenze an den Ball, der sofort zu Weidner auf die rechte Seite spielt. Weidner leitet leicht diagonal nach vorne zu Welzmüller weiter, der sofort quer zu Stiller spielt. Dieser wiederum legt dann auf den in diesem Moment schon wieder auf den Beinen befindlichen Che ab.

Che tritt an und lässt Biankadi, der ihn zunächst noch verfolgt, hinter sich. Um nicht Opfer des herbei kommenden Neudecker zu werden, gibt Che den Ball nach vorn auf Motika, der sofort zu Lungwitz weiterleitet. Lungwitz kommt einige Meter in der Spielfeldhälfte der Löwen an der linken Seitenauslinie in Ballbesitz. Bis zu diesem Zeitpunkt war kein Löwenspieler in der Lage klar gegen den Ball zu arbeiten, weil jeder der Situation nur hinterherlief. Lungwitz spielt die Kugel sofort wieder zu Motika, der etwa fünf Meter weiter rechts massig Raum vor sich zur Verfügung hat. Alle möglichen Gegenspieler stehen hier viel zu weit weg.

Im Rücken von Neudecker, der sich langsam auf Motika zubewegt, läuft Scott ein und bekommt in dem Moment den Ball, als er sich wieder Richtung Box der Löwen bewegt. Weder Biankadi noch Neudecker können den Pass verhindern. So laufen beide nun Scott hinterher, der mit dem Ball am Fuß Richtung Strafraum marschiert und genau dann auf Sieb passt, als der in der Schnittstelle zwischen Belkahia und Willsch durchläuft. Sein Schuss aus halblinker Position knapp vor dem Fünfmeterraum schlägt im langen Eck des Löwentores ein.

Wie hätte man diesen Angriff verteidigen müssen?

Es beginnt im Prinzip damit, dass Lex sich nach der Szene, in der er zu Fall kommt, zu langsam wieder in das Spiel eingliedert und deshalb andere Spieler übernehmen müssen und somit an anderer Stelle fehlen. Dadurch verändert sich die defensive Ordnung im Mittelfeld gravierend. Zusätzlich bin ich mir tatsächlich nicht sicher, ob einer der Spieler unserer Mannschaft nicht dafür zuständig gewesen wäre, den Passweg von Lungwitz zu Motika zuzustellen.

Der Pass in die Schnittstelle mit anschließendem Torabschluss ist nicht der entscheidende Moment dieser Attacke gewesen. Entscheidend waren der Antritt von Che, der gar nicht in Ballbesitz käme, wenn Lex weniger phlegmatisch agiert, und der Antritt von Scott, nach Motikas Pass, der aber in der Konsequenz der vorhergehenden Ereignisse zu verteidigen gewesen wäre, wenn einer der Innenverteidiger aus der Kette nach vorne schiebt. Beide Aktionen brachten Tempo ins Spiel und so erwischten die Roten die beteiligten Spieler der Sechzger bei nur einem Angriff gleich zweimal auf dem falschen Fuß.

Der Ausgleich per Elfmeter zum zwischenzeitlichen 1:1

Bei einem Angriff über die rechte Seite der Löwen gibt es in der 40. Minute einen Handelfmeter für den TSV 1860 München, den Sascha Mölders in die linke untere Ecke des Tores schießt und somit zum 1:1 ausgleicht.

Der erneute Führungstreffer für die Gäste

Als Neudecker versucht einen langen Diagonalpass von Salger zu erreichen, springt ihm der Ball ein wenig weiter als gewünscht vom Fuß. Den folgenden Zweikampf an der linken Seitenauslinie aus Sicht der Roten gewinnt Motika und Lungwitz kommt an den Ball. Bis etwa zehn Meter zentral vor dem Strafraum des TSV 1860 München kann Lungwitz ungehindert in die Hälfte der Löwen eindringen.

Dann spielt er einen kurzen Pass nach rechts zu Sieb, der sich mit dem Leder diagonal auf die halbrechte Seite etwa vier Meter vor dem Strafraum der Löwen bewegt. Auch er wird nur begleitet und nicht angegriffen. Kurz bevor sein Gegenspieler Tallig ihn stellen kann, spielt Sieb das Leder zu Singh der etwa am rechten Strafraumeck in Ballbesitz kommt. Singh dringt in die Box ein, wo sich Steinhart in den Weg stellen möchte. Eine kurze Körpertäuschung bringt den linken Verteidiger der Löwen aber ein wenig aus dem Gleichgewicht. Singh macht noch einen Schritt nach links und zieht dann aufs lange Eck zum 1:2 ab. Auch dieses Gegentor wäre zu verhindern gewesen.

Die Fehler vor dem zweiten Gegentreffer

Zunächst hätte beim Ballverlust Willsch, der offensiver als Neudecker positioniert war, schneller reagieren müssen um sich in die Rückwärtsbewegung zu begeben. So kann Motika Dressel nach außen ziehen, indem er steil die Linie entlang läuft und Lungwitz bleibt im Zentrum ohne Gegenspieler. Als Tallig Lungwitz übernehmen will, spielt dieser zu Sieb, dem Tallig dann hinterherrennen muss. Den Abschluss kann man verhindern, indem man den Schützen auf den anderen Fuß zwingt. Man hätte weiter innen verteidigen müssen und so die Schussbahn zustellen. Nichtsdestotrotz darf ein linker Verteidiger niemals so unbedrängt im Zentrum einmarschieren wie Lungwitz es getan hat.

Der zweite Elfmeter für die Löwen

Nach einem Foul an Biankadi in der Hälfte der Löwen auf der linken Angriffsseite kommt der Ball nach dem Freistoß über Salger zu Tallig an die Außenlinie. Tallig geht mit dem Leder am Fuß diagonal Richtung gegnerische Box und spielt im richtigen Moment auf Lex, der die Schnittstelle korrekt durchläuft und als er in Ballbesitz kommt von Feldhahn elfmeterreif gefoult wird. Bevor Feldhahn Lex gefoult hat, lag kein Abseits seitens Lex vor. Steinhart schießt den fälligen Elfmeter für den TSV 1860 in die rechte untere Ecke des Tores und verlädt somit, wie schon zuvor Mölders, den Keeper aus der Seitenstraße.

Fazit zum Unentschieden des TSV 1860 München gegen die Seitenstraße

Trotz großer Überlegenheit führten diverse Kleinigkeiten im Defensivverhalten des TSV 1860 München nicht zum gewünschten Ergebnis, sondern zur alles in allem gerechten Punkteteilung mit der Zweitvertretung des Stadtrivalen.

Der xG Wert (expected Goals), der den TSV 1860 München um ein Tor vorne sieht, sagt zwar etwas anderes. Rechnen wir aber die beiden Elfmeter aus dieser Gleichung heraus müsste die Partie statistisch gesehen Unentschieden ausgehen.

Bei konsequenterem Verteidigen zwischen den Boxen und besserem Stellungsspiel im Mittelfeld schafft es der Gegner aber nie im Leben solche Chancen, wie er sie hatte, herauszuspielen.

Somit ist die Punkteteilung einerseits klar auf diese im Löwenspiel absolut ungewohnten Schwächen zurückzuführen. Andererseits aber auch dem Unvermögen geschuldet, mehr eigene Chancen im Zentrum der gegnerischen Box zu kreieren.

Nun stehen die Löwen im letzten Saisonspiel bei den Schanzern eigentlich mit dem Rücken zur Wand. Sascha Mölders war nach der Partie bereits siegesgewiss, was das kommende Spiel angeht. Und auch ich denke wir haben nichts zu verlieren und können nur gewinnen. Der gesamte Druck liegt auf Ingolstadt.

Ich möchte mich außerdem noch recht herzlich bei Sascha Mölders für seine treffenden Worte gegenüber den Gegnern bedanken. Unsere Nummer Neun hat ausgesprochen, was alle Fans gedacht haben, als Welzmüller an ihm abprallte.

Auch der Münchner Boulevard hat das Wortgefecht zwischen Sascha Mölders und Welzmüller aufgegriffen. Lustigerweise bezeichnen sie es als “dirty talk”. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es zwischen diesen Beiden jemals zu einem solchen kommen wird. “Trash talk” und “dirty talk” sind zwei gänzlich verschiedene Sachen.

 

Datenquelle: wyscout

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