Herzlich Willkommen zur TAKTIKTAFEL Analyse des Heimspiels unseres TSV 1860 München gegen unsere Freunde aus der Pfalz vom 1. FC Kaiserslautern.

Neue Besen kehren gut – so eröffnete ich die Einleitung zur TAKTIKTAFEL vor dem Spiel. Das ist auch richtig. Wenn der Besen aber aufgrund der Leistung seiner Mannschaft gegen Gegner, die mit dieser Mannschaft auf Augenhöhe anzusiedeln sind, die Stärke seiner Mannschaft derart überschätzt, wie es Marco Antwerpen vor dem Spiel offensichtlich getan hat und er deshalb seine Mannschaft mit dem vollkommen falschen Plan aufs Feld schickt, geht der Schuss gewaltig nach hinten los.

Was Marco Antwerpen geritten hat, im Vorfeld von Augenhöhe zu sprechen und so seiner Mannschaft ein komplett falsches Selbstbild einzuimpfen, entzieht sich meiner Kenntnis. Warum Antwerpen dann auch noch das wunderbar funktionierende System 5-4-1 zurück auf ein System mit Viererkette verändert hat, ist für mich komplett unverständlich. Eine Weisheit aus der Computerfachsprache besagt: “never change a running system”. Das sollte man auch bei einem abstiegsbedrohten Team, das mit einem funktionierenden System erfolgreich gespielt hat, im Fußball beherzigen.

Die statistischen Zahlen zum Spiel

TSV 1860 Kaiserslautern
Ballbesitz 40% 60%
Passgenauigkeit 81% 88%
Defensive Zweikampfquote 71% 54%
Schüsse 14 9
davon aufs Tor 5 2
PPDA* 19,2 15,8
*(zugelassene Pässe pro Defensivaktion)

 

Diese Zahlen passen für jemanden, der das Spiel gesehen hat, irgendwie gar nicht zu dem Gesehenen – oder vielleicht doch? Das werde ich weiter unten an passender Stelle jeweils kurz erläutern. Gehen wir zunächst aufs Offensichtliche ein. Was genau passierte auf dem Platz? Welches System hat Kaiserslautern eigentlich versucht zu spielen und wie konnte der TSV 1860 München so dominant auftreten, wie er es getan hat?

Kaiserslautern im 4-3-3

Als ich circa eine Stunde vor dem Spiel die Mannschaftsaufstellungen bekam, dachte ich zunächst, es könnte wieder das 5-4-1 sein, mit dem die letzten Erfolge eingefahren wurden. Möglich war aufgrund der Personalien auf dem Platz allerdings auch ein 4-1-4-1 mit Götze im defensiven Mittelfeld und Sickinger als Box-to-Box Spieler.

MagentaSport zeigte die systematische Aufstellung vor dem Spiel jedoch als 4-3-3. Da dachte ich: okay, wird das 4-1-4-1 also bei eigenem Ballbesitz im letzten Drittel auf 4-3-3 verschoben und gegen den Ball ein 4-2-3-1 gespielt. Letztendlich sollte vom 1. FCK aber tatsächlich zunächst mit Ball ein 4-3-3 auf dem ganzen Feld gespielt werden und gegen den Ball im eigenen letzten Drittel 4-5-1. Das zu erkennen fiel dem Beobachter aber aufgrund des permanenten Gegenpressings auf vorderster Linie, das die Löwen gegen den Ball spielten, sehr schwer. In der Anfangsphase der Partie konnte sich Lautern trotz ausgeglichenem Ballbesitz kaum aus dem eigenen letzten Drittel befreien.

1860 hat gegen Kaiserslautern alles im Griff

Bei Ballbesitz war das mit dem 4-3-3 eine klar zu offensiv ausgerichtete Nummer, um sich kontrolliert aus dem Pressing der Löwen freispielen zu können. Zu groß waren die Abstände zwischen den Spielern auf dem Feld, sodass die Löwen bei Pässen der Lauterer, welche die Pressinglinien der Sechzger durchdrangen, immer wieder durch ihr gutes Stellungsspiel in die Passwege einlaufen konnten und dadurch mühelos das Leder zurück in die eigenen Reihen brachten.

Dieselben Räume, die im Passspiel der Lauterer zu Ballgewinnen für die Löwen führten, waren es, die dann für viel Bewegungsfreiheit der Sechzger-Offensive sorgten. Bis ins letzte Drittel hinein konnte Kaiserslautern den ball- und passsicheren Spielern des TSV 1860 München nichts entgegensetzen. Erst im letzten Drittel und im Stafraum wurde vom 1. FCK versucht, konsequenter zu verteidigen. Das hohe Anlaufen der Löwen in vorderster Linie erzeugte einen derartigen Stress in der Hintermannschaft der roten Teufel vom Betzenberg, dass die Befreiungsversuche ein ums andere mal in den Reihen der Sechzger landeten. Diese versuchten dann temporeich in den Strafraum der Teufel zu spielen, um zum Abschluss zu kommen.

Wieso hatten die Gäste so viel Ballbesitz?

Und damit sind wir auch schon bei der Erklärung zur hohen Ballbesitzquote für Kaiserslautern bei den statistischen Zahlen. 96 Rückpässe und 213 Querpässe bei 587 Pässen im gesamten Spiel stehen für den 1. FC Kaiserslautern zu Buche. Bei Rück- und Querpässen, ist wie der Kenner weiß, die Fehlerquote eher gering. An sage und schreibe 61 der erfolgreichen Pässe war der Torhüter beteiligt. 30 davon hat er als Empfänger bekommen. Weitere 170 Pässe spielten die Defensivspieler untereinander. Das macht in Summe 200 Pässe ohne signifikanten Raumgewinn für den 1. FC Kaiserslautern zwischen eigener Torauslinie und Mitte der eigenen Spielfeldhälfte. Da darf der Gegner im Spiel gerne mehr Ballbesitz haben, wenn er daraus keinen Vorteil ziehen kann. Das Fazit aus diesen Zahlen lautet: Wer viel hinten herum spielt, spielt zwar mit hoher Genauigkeit, kann vorne aber keine Gefahr für den Gegner entwickeln.

Gelungene Angriffssteuerung

Es schien, dass der junge Ersatztorhüter des 1. FCK (Raab) der einzige Spieler beim Löwengegner war, der halbwegs mit dem Pressing der Löwen umgehen konnte. Er passte im Gegensatz zu seinen Mitspielern nicht gleich panisch den Ball zu einem Kollegen, wenn er ein blaues Trikot auf sich zulaufen sah, der oft in noch schlechterer Position befindlich war.

Weder beim normalerweise klug und ruhig spielenden Tim Rieder noch bei seinen Nebenleuten Senger oder Hercher war auch nur ein Ansatz von Abgeklärtheit unter Druck erkennbar.

Die Lauterer konnten den Ball in der Anfangsphase auch nur über ihre rechte Seite spielen. Links waren aufgrund des guten Stellungsspiels der Löwen, die dort wunderbar die Passwege zustellten, nie Anspielstationen für die Gäste gegeben.

So mussten die Lauterer ihre Versuche zum Aufbau im Positionsspiel gegen Biankadi, Mölders, Steinhart und den sehr aggressiven Tallig, der Rieder bei fast jedem Ballkontakt stark unter Druck setzte, auf der eigenen rechten Seite starten. Spätestens an der Mittellinie war damit jedoch meist Schluss.

Kaiserslautern gewinnt gegen den TSV 1860 ganze sechs Offensivzweikämpfe

Und hier möchte ich ansetzen, um die zweite Zahl zu erklären, die einen ähnlich wie im Spiel gegen Viktoria Köln stutzig macht. Nämlich die abermals sehr hohe PPDA von 19,2. Wie im Spiel gegen die Rheinländer oder auch gegen Magdeburg lag im Spiel gegen die Pfälzer der Sinn des Pressings in der Angriffssteuerung.

Die Sechzger wollten den Gegner auf der eigenen linken Seite haben und das hat auch perfekt funktioniert. Dort lies man zwar Quer- und Rückpässe zu, verteidigte aber gleichzeitig alle möglichen langen Anspielstationen gegen den Mann und ließ dem 1. FCK als einzige Option ein wenig Raum auf deren rechter Seite. Der dort agierende Zimmer konnte, selbst wenn das Anspiel saß, nichts mit dem Ball anfangen und verlor jeden seiner offensiven Zweikämpfe. Aber nicht nur Zimmer, auch die meisten seiner offensiv ausgerichteten Kollegen verloren alle ihre offensiven Zweikämpfe. Die Ausnahmen hier waren Pourié, der immerhin ein Offensivduell für sich entscheiden konnte und Sessa, der als bester Offensivspieler in der Startelf bei Kaiserslautern auf fünf gewonnene offensive Zweikämpfe kommt.

Die wenigen Vorstöße der Pfälzer auf Löwenterritorium, die während der ersten Spielhälfte gefährlich hätten werden können, entsprangen meist langen Bällen, die von den Löwen nicht vor der Ballannahme des Angreifers gestört werden konnten.

Systemwechsel bei den Gästen

Noch während der ersten Halbzeit änderte Coach Antwerpen ohne zu wechseln das System auf 4-4-2. Dadurch ergab sich eine etwas bessere Tiefenstaffelung bei den Gästen. Wirklich hilfreich gegen den schier übermächtigen Gegner war aber auch das nicht.

Allerdings hatte der 1.FC Kaiserslautern deshalb zwischen den Pressingphasen der Löwen längere Entlastungsphasen mit eigenem Ballbesitz, wo man sich auch dann und wann bis in die Spielfeldhälfte der Löwen vorspielen konnte – aber nie ruhig und kontrolliert. Immer waren diese Entlastungen für die eigene Abwehr mit viel Stress und Laufarbeit verbunden. Wirkliche Gefahr für das Tor unserer Löwen kam nur auf, wenn die Sechzger sich selbst in die Bredoullie brachten.

Die Löwen hingegen kombinierten in der Hälfte der Pfälzer mehr oder weniger nach Lust und Laune, sie ließen Ball und Gegner laufen. Die Sechzger erarbeiteten sich eine Strafraumszene nach der anderen. Trotzdem entsprang das Führungstor einem Umschaltmoment, in dem man Lautern klassisch auskonterte.

Erneute Umstellung nach der Pause

Zur zweiten Halbzeit kam der 1. FCK nach zwei offensiven Wechseln entschlossen aus der Kabine. Ein weiterer Systemwechsel beim FCK ging damit einher. Nun ein personell als 4-1-4-1 anmutendes System auf den Platz bringende Pfälzer versuchten sofort das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.

Lautern rannte nun abermals bei einem Umschaltmoment der Löwen ins offene Messer. Ab dem 2:0 war prinzipiell die Messe gelesen und der TSV 1860 München kontrollierte Ball und Gegner in einer derart dominanten Art und Weise, dass sich die gegnerischen Spieler ein ums andere mal nur noch mit Fouls zu helfen wussten. Dass es im gesamten Spiel nur zwei gelbe Karten gab und diese auch noch Spieler der Sechzger kassierten, mutet in diesem Kontext geradezu grotesk an. Nach dem dritten Treffer für die Löwen war dann endgültig der Deckel auf einer Partie, die einseitiger nicht hätte verlaufen können.

Die Schlüsselfaktoren für den TSV 1860 München in diesem Spiel waren das absolut gut getimte Anlaufen auf den ballführenden Spieler beim Pressing, ein überragendes Stellungsspiel auf dem gesamten Platz und wunderbar funktionierende und gut aufeinander abgestimmte offensive Laufwege sowie eine Passsicherheit im Spiel nach vorn, die ihresgleichen sucht.

Wenn es brenzlig wurde, verteidigten alle Spieler in ihren Zonen aufopferungsvoll. Die Außenverteidiger rückten mit in die Box ein. Dafür kippten die Mittelfeldaußen tief ab und die beiden Achter halfen das Zentrum zuzustellen. Besser kann man gegnerisches Positionsspiel nicht verteidigen.

Die Tore von 1860 gegen Kaiserslautern

Das 1:0 durch Neudecker

Einen von Zimmer zu weit geschlagenen Eckstoß von rechts aus Sicht des 1. FCK in der 31. Minute kann Dennis Dressel per Kopf zu Greilinger an die Strafraumgrenze abwehren. Der köpft sofort weiter auf die eigene rechte Seite zu Biankadi. Der schnelle Offensivmann der Löwen überläuft dann Tim Rieder auf der Außenbahn als wäre dieser gar nicht vorhanden und spielt auf Höhe der Mittellinie einen traumhaften Diagonalpass zum mitlaufenden Neudecker. Wieselflink entledigt sich Neudecker zunächst seinem Gegenspieler Sessa und lupft dann aus sechzehn Metern in zentraler Position das Spielgerät über den herausstürzenden Torhüter Raab, der keine Chance hat den Treffer zu verhindern.

Steinhart zum ersten…

Dem 2:0, das Steinhart durch einen passgenauen Elfmetertreffer in die linke Ecke besorgte, ging ein ebenfalls wunderschöner Pass von Biankadi voraus, dieses Mal auf Mölders. Aber der Reihe nach: Ein von den Löwen sehr kompakt in der Box verteidigter Angriff des 1. FC Kaiserslautern über die rechte Seite endet im Strafraum des TSV 1860 München bei Steinhart. Steinhart spielt einen langen Ball über etwa dreißig Meter zu Biankadi, der an der linken Seitenauslinie schon auf den Umschaltmoment gelauert hat.

Biankadi geht einige Meter in Richtung Mittellinie, wird von Ouahim gestellt und zieht dann nach innen. Er geht, vom nicht konsequent verteidigenden Ouahim begleitet, drei Schritte und spielt wieder einen langen, diagonalen Traumpass. Diesmal war Sascha Mölders der Adressat. Aus der Tiefe des Raums kommend überläuft die Neun der Löwen die Innenverteidiger und kommt in zentraler Position am Strafraum in Ballbesitz. Nur noch den Torhüter vor sich zieht Mölders nach links. Beim Versuch den Ball von Mölders Füßen zu angeln fällt der junge Tormann der Pfälzer den Giesinger Sturmtank wie eine Eiche. Klarerweise zeigt der Unparteiische auf den ominösen Punkt. Wie bereits erwähnt verwandelt der linke Verteidiger der Löwen, Phillipp Steinhart, von dem der Angriff zuvor ausging, in der 52. Minute eiskalt zum 2:0.

…und zum zweiten

Das dritte und letzte Tor an diesem Abend im Giesinger Rund fällt nachdem zunächst Dressel einen Freistoß an der Mittellinie zurück zu Belkahia spielt. Belkahia gibt das Leder danach lang weiter zu Mölders im Zentrum der gegnerischen Spielfeldhälfte. Bedrängt, aber nicht gestört von seinem Gegenspieler nimmt Mölders das Leder an, dreht sich und passt steil nach halbrechts auf Lex. Dieser darf kurz vor der Strafraumgrenze umringt von drei Gegenspielern das Spielgerät annehmen und verarbeiten. Lex geht begleitet von Rieder einige Schritte parallel zur Strafraumbegrenzung und spielt dann quer den halblinks aus dem Hintergrund einlaufenden Steinhart an. Steinhart dringt ohne Gegenwehr der Lauterer in den Strafraum ein und zieht aus etwa dreizehn Metern aufs lange Eck ab. Der von zwei Verteidigern abgefälschte Schuss schlägt jedoch im kurzen Eck ohne Abwehrchance für Torhüter Raab ein.

Fazit zum Sieg des TSV 1860 gegen Kaiserslautern

In einem Spiel, bei dem es genau zwei brenzlige Situationen für die Defensive der Löwen gab, unterliegt der Gast aus Kaiserslautern dem TSV 1860 München völlig verdient und in der Höhe sicher glücklich mit 3:0. Keiner hätte sich bei den Pfälzern beschweren dürfen, wenn in dieser Partie noch mehr Tore für die Löwen gefallen wären. Die Dominanz, die mannschaftliche Geschlossenheit, die Aggressivität gegen den Ball, der Wille immer noch mehr zu wollen und die Bereitschaft, immer einen Schritt mehr machen zu können als der Gegner, haben in Summe dafür gesorgt, dass Marco Hiller zum mittlerweile 14.Mal seinen Kasten sauber halten konnte.

Dieser Spirit, den man förmlich beim Zuschauen greifen kann; der Mannschaft und Fans gleichermaßen ergriffen hat, wie man auch vor dem Spiel beim Spalier auf der Grünwalder Straße gesehen hat, ist meiner Meinung nach das Besondere, was den TSV 1860 München im Moment ausmacht. Diese Mannschaft wird in jedem Spiel bis zum Umfallen kämpfen, um für sich und ihre Fans alles zu geben, damit man am 22.05.2021 bei Ertönen des Schlusspfiffs sagen kann: wir haben das Maximale erreicht. Für den Moment ist der TSV 1860 München Dritter. Die Jagdsaison ist noch nicht zu Ende. Nothing’s gonna stop us now!

Datenquelle: wyscout

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