Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Sie lehrt uns nur, mit dem Unbegreiflichen zu leben. Heute vor 20 Jahren nahm sich Guido Erhard das Leben und hinterließ eine Lücke, die unmöglich zu schließen ist. Wir erinnern an den Publikumsliebling der Löwen, den wir als heiteren, lebenslustigen Menschen kennengelernt haben. Dass es in ihm ganz anders aussah, wurde vielen erst später schmerzhaft vor Augen geführt.

Guido Erhard Löwenbomber
Guido Erhard mit dem Löwenbomber im Frankenstadion nach dem Spiel gegen den TSV Vestenbergsgreuth

Todesnachricht aus dem Videotext

Den 23.02.2002 werde ich nie vergessen. An diesem Samstag spielten die Löwen beim VfL Wolfsburg, ich selber hatte mich nicht auf den Weg nach Niedersachsen gemacht, sondern stattdessen meinen Vater besucht. So saß ich also vormittags dort auf der Couch, zappte mich durch den Videotext und blieb an einer Nachricht hängen, die mir sofort Tränen in die Augen trieb.

Ich konnte kaum glauben, was da stand. Guido Erhard, ehemaliger Stürmer des TSV 1860, des VfL Wolfsburg und des FSV Mainz 05, soll zwei Tage zuvor am Offenbacher Hauptbahnhof Selbstmord begangen haben. Unfassbar! Erste Reaktion: Eine SMS an seinen guten Freund aus Münchner Tagen, den Löwenbomber.

Dass der ehemalige Profi seit längerer Zeit unter Depressionen gelitten hatte, war bekannt. Bei den letzten Kontakten hatte er jedoch einen gefestigten Eindruck hinterlassen und wir wähnten ihn auf einem guten Weg. Ein Trugschluss.

Guido Erhard bei den Löwen
Guido Erhard bei den Löwen

Löwe durch und durch – als Spieler und Fan

Guido Erhard war manisch depressiv, schwankte zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Viele betroffene Personen lassen sich im Alltag nichts anmerken. Zu Hause jedoch, in der Einsamkeit, sieht es anders aus. Dort gewinnt die Niedergeschlagenheit oft Überhand und zwingt die Betroffenen in die Knie.

Guido Erhard war ein Löwe – als Spieler und als Fan. Von seiner Zeit in Giesing sollte Erhard sein ganzes kurzes Leben lang noch schwärmen. Wenn er nicht selber auf dem Platz stand, war er mit den Fans unterwegs. Kaum ein anderer Bundesliga-Spieler hatte so viele Freunde und Bekannte unter den Zuschauern wie Erhard. So verwundert es auch nicht, dass er während seiner zahlreichen Verletzungspausen ununterbrochen Besuch von Fans im Krankenhaus bekam.

Guido Erhard
Mit dem TSV 1860 stieg Erhard von der Bayern- in die Bundesliga auf

Wechsel nach Wolfsburg und Mainz

Als es sportlich für ihn beim TSV 1860 nach 16 Bundesligaspielen (vier Tore) keine Perspektive mehr gab, wechselte Guido Erhard zum VfL Wolfsburg. Dort kam er weder sportlich noch menschlich zurecht und verfiel erstmals in Depressionen. Er zog die Notbremse, kündigte seinen Vertrag und heuerte nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit beim FSV Mainz 05 an.

In einem seiner letzten Interviews erinnerte sich Erhard in der Süddeutschen Zeitung:

“Meine Freundin hat sich von mir getrennt, es hat Paff gemacht, und nichts hat mehr gestimmt. 1997 war das. Acht Wochen habe ich mich noch im Alltag gehalten, nicht im Fühlen und Denken, aber ich konnte den Alltag irgendwie aufrechterhalten.”

Kurze Zeit später fing der Stürmer im Mannschaftsbus auf der Fahrt zu einem Auswärtsspiel plötzlich an, sämtliche Selbstmordmöglichkeiten aufzuzählen. Wenig später offenbarte er erstmals Suizid-Gedanken und ließ sich ins Zentralinstitut für seelische Gesundheit nach Mannheim einweisen.

Guido Erhard
Von den Löwen wechselte Erhard zum VfL Wolfsburg

“Hoch suizidal” und auf dem Weg zur Besserung

Sieben Monate später wurde Guido Erhard wieder entlassen – “hoch suizidal” wie er es selber einschätzte. Die Manie setzte sich durch, Kritik wurde jedoch umgehend in Aggressivität gegen sich selbst umgewandelt. Im Oktober 2000 unternahm Erhard in seiner Geburtsstadt Hanau einen Selbstmordversuch, den er wie durch ein Wunder überlebte, und danach froh verkündete:

“Ich hatte riesige Angst vor dem Tod. Ich will leben. Wenn ich wirklich gewollt hätte, hätte ich mich schon umgebracht.”

Danach ging es bergauf: Erhard verliebte sich neu, trieb wieder Sport, spielte sogar wieder Fußball beim VfR Kesselstadt. Auch auf der Homepage vom Löwenbomber Axel Dubelowski schrieb er wieder regelmäßig eine Kolumne (siehe Screenshots unten; zum Vergrößern bitte klicken). Die Dämonen schienen vertrieben.

Guido Erhard (06.10.1969 – 21.02.2002)

Dann aber warfen ihn private und gesundheitliche Probleme wieder aus der Bahn, der geplante Umzug nach München geriet ins Stocken. Erhard überwand eine manische Phase, rutschte dann jedoch in eine tiefe Depression und offenbarte Verfolgungswahn und Angstzustände.

Inzwischen hatte sich Guido Erhard freiwillig in Behandlung in die Offenbacher Psychiatrie einweisen lassen, die er jedoch jederzeit auf eigenen Wunsch verlassen konnte. Am 21.02.2002 führte ihn sein Spaziergang zum Hauptbahnhof. Er kehrte nicht mehr zurück.

Guido, Du wirst immer fehlen.

Guido Erhard
Die letzte Profistation von Guido Erhard: der FSV Mainz 05
Guido Erhard
Guido Erhard als Zuschauer beim Spiel der Löwen-Amateure in Offenbach
Guido Erhard Grab Nürnberg
Die letzte Ruhestätte von Guido Erhard in Nürnberg

Holt Euch Hilfe, wenn Ihr Depressionen oder suizidale Gedanken habt! Zum Beispiel, ganz unkompliziert, bei der Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 – oder bei anderen Beratungsstellen.

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United Sixties

Danke für die Erinnerung. Durfte mit ihm und der ganzen tollen Mannschaft 1993 bei einem Arbeitskollegen Sepp Trinkl einen privaten Grillabend verbringen…gigantisch und unvergesslich für mich als junger Fanclubgründer und nach dem Wiederaufstieg unter Lorant.

Lene Berlin

Danke.

Löwenpfote

Es tut jedes Mal verdammt weh, wenn jemand aus der Löwenfamilie aus dem Leben scheidet und nicht mehr unter uns weilt.
Und es schmerzt ebenfalls, wenn Menschen keinen anderen Weg aus der Spirale Krankheit, Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit finden und uns oft fassungslos zurücklassen.

Guido, wo immer du auch bist.
Ich hoffe, du hast jetzt deinen Frieden gefunden.
Warst ein so feiner Kerl und wirst in meinem Herzen stets ein Platzerl haben!

(P.S. Danke sechzger.de für die Erinnerungen und die wundervollen Worte, die einen Guido noch ein bisserl näher brachten)

Last edited 2 Jahre zuvor by Löwenpfote