Ein herzliches Grüß Gott zur TAKTIKTAFEL-Analyse vom Spiel des TSV 1860 München beim 1.FC Saarbrücken.

Man kann es leider nicht schön reden. Der TSV 1860 München hat in der ersten Halbzeit am Samstag im Hermann-Neuberger-Stadion zu Völklingen gegen Saarbrücken optisch die zweitschlechteste Saisonleistung abgeliefert. (Das Spiel mit der bisher dürftigsten Leistung wurde lustigerweise gewonnen.) Vor allem der Gewinn zweiter Bälle im Spiel nach vorne während der ersten Halbzeit war in Summe ungenügend. Es konnte kaum einer der Mittelfeldspieler den Kapitän Sascha Mölders dahingehend unterstützen, dass man wie gewohnt mit körperlicher Präsenz und dem Gewinn eben dieser Bälle Vorteile im Angriffsdrittel erspielen konnte.

Gegner mit taktischer Änderung

Die Saarbrücker haben das mit einer systematischen Variante durch die vermutlich unerwartete Umstellung auf ein 3-5-2 und der damit einhergehenden personellen Überzahl im Defensivverbund vor der eigenen roten Zone gut unterbinden können. Durch das Zustellen der Passwege mit ungewöhnlich hohem Pressing bis fast an den Torraum der Sechzger ließ Saarbrücken dem TSV 1860 auch keine anderen Varianten für das Aufbauspiel als die Option mit langen Bällen nach vorne zu arbeiten. Die optimale, das Stellungsspiel begünstigende, Raumaufteilung im 3-5-2 und die Tatsache, dass die Spieler der Sechzger deshalb oft gut zugestellt waren und die personelle Überzahl im defensiven Mittelfeld, die den Gastgebern bei Dopplungen half, stellte die Löwen ein ums andere mal vor Probleme im Aufbau. Erschwerend kommt hinzu, dass die Abstände der Mittelfeldspieler zum jeweiligen Droppoint zu groß waren und daher die Saarbrücker leichtes Spiel hatten, die zweiten Bälle zu verteidigen.

Auch die Abstände der Spieler in der Sechzger-Offensive zueinander waren in vielen Situationen zu groß. So konnte sich oft ein Saarbrücker zwischen den Ball und den Passempfänger schieben und Angriffsbemühungen im Mittelfeld ersticken.

Verdient oder eher unglücklich?

Bei Ballgewinn der Löwen im Mittelfeld sahen die Angriffe für die Sechzger deutlich besser aus. Dann konnte über die Flügel gut aufgebaut werden und man kam zu Abschlusschancen. Leider gelangen diese Ballgewinne in der ersten Halbzeit zu selten.

Aus der guten Raumaufteilung gegen den Ball entwickelte sich für Saarbrücken vor allem im Umschaltspiel eine wahnsinnig starke Dynamik in Richtung Tor des TSV 1860 München. Die Löwen konnten die Angriffe der Saarbrücker selten mit einem eigenen Ballgewinn beenden. Sehr oft waren Einwürfe für die Gastgeber oder Eckbälle das Resultat der Abwehrbemühungen der Löwen. Insgesamt kam die Mannschaft von Trainer Kwasniok auf elf Standardsituationen in aussichtsreicher Position.

Bei aller Kritik muss man den Löwen aber zugute halten, dass Saarbrücken gegen den Ball auch mehrere glückliche Momente im Spiel hatte und die Niederlage der Löwen aufgrund des Spielverlaufs eben nicht als komplett verdient sondern als teilweise unglücklich angesehen werden kann. Ein durch Zellner von der Linie gekratzter Kopfball von Greilinger (23.) nach Flanke durch Lex, ein durch Lex herausgeholter, aber leider von Batz gehaltener Steinhart Elfmeter (62.), Staudes Pfostentreffer (90.+3) und im Anschluss Biankadis Kullergeschenk parallel zur Torlinie an die Saarbrücker Defensive waren die Momente, in denen das Spiel auch in die andere Richtung hätte kippen können oder sogar müssen. Wir haben vor dem gegnerischen Kasten im Moment einfach die Seuche am Fuß.

Die Statistiken bei der Partie Saarbrücken – 1860 München

  • Ballbesitz 49%:51%
  • Passgenauigkeit TSV 1860 79%, Saarbrücken 79%
  • Defensive Zweikampfquote TSV 1860 61%, 1.FCS 63%
  • Schüsse (davon aufs Tor): TSV 1860 12 (4); 1.FCS 12 (5)
  • PPDA (zugelassene Pässe pro Defensivaktion): TSV 1860 12,57; Saarbrücken 14,55

Nun spricht eine PPDA von 14,55 eigentlich nicht für ein sonderlich aggressives Pressing der Saarbrücker möchte man einwenden. Das ist theoretisch richtig. Praktisch sieht es aber so aus, dass die Saarbrücker, ähnlich wie der TSV 1860 München in Magdeburg, sich darauf konzentriert haben Passwege zuzustellen und somit die Aktionen gegen den Ball gar nicht nötig wurden, weil die Optionen für den kurzen Aufbau nicht gegeben waren.

Ausgeglichene Werte

Die anderen hier aufgeführten Zahlen der Statistik sind überaus ausgeglichen und auch verglichen mit den absoluten Zahlen nicht irreführend. Es ist ja so, dass beispielsweise die defensive Zweikampfquote erst dann wirklich aussagekräftig wird, wenn man die Zweikämpfe annimmt und eine entsprechende Anzahl dieser führt. Mit 81 Defensivduellen ist das bei den Löwen definitiv der Fall gewesen. Im eigenen Strafraum wurde vom TSV 1860 gar nur ein einziger Zweikampf verloren, dieser aber leider von Salger gegen Jacob vor dem 2:0 für Saarbrücken durch Günther-Schmidt. Und das bei immerhin 20 Ballkontakten der Gegner in der Box. Schauen wir da auf die Zahlen der Saarbrücker, schaut es gänzlich anders aus. Keinen einzigen Zweikampf konnten sie in der eigenen Box gewinnen. Die Löwen hatten mit 21 Ballkontakten im gegnerischen Strafraum gegenüber den Gastgebern sogar einen mehr auf dem Konto.

Das bringt uns nun zur gleichen Erkenntnis wie schon in den vorherigen Analysen der Spiele. Wir haben a) zu wenige klare Chancen und verwerten b) momentan selbst die besten davon nicht. Der in vielen Spielanalysen mittlerweile genutzte xG Wert der Löwen in diesem Spiel liegt bei 2,28 (der Vergebene Elfmeter macht 0,77 Punkte dieses Wertes aus). Saarbrücken hat hier einen Wert von 1,71 vorzuweisen. Rein statistisch gesehen hat also der TSV 1860 München die besseren Chancen gehabt, um das Spiel für sich zu entscheiden. Der nicht platzen wollende Knoten vor dem Tor kann aber leider nicht von Statistiken wegdiskutiert werden, sondern ist eine momentane Schwäche des TSV 1860 München, die es möglichst schnell zu überwinden gilt.

Die Gegentore von 1860 in Saarbrücken

Vor dem 1:0 verliert Neudecker auf der rechten Angriffsseite der Saarbrücker ein defensives Laufduell gegen Jänicke. Vom plötzlichen Antritt Jänickes sichtlich überrascht kommt Neudecker dem Mittelfeldspieler der Saarbrücker nicht mehr hinterher. Ein Fehler von Salger, der nicht mit Shipnoski mitgeht, als dieser sich von ihm entfernt, und auch Belkahia wohl kein Kommando bekommt, ihn zu übernehmen, sorgt dann dafür, dass Shipnoski die Flanke Jänickes im Fünfmeterraum unbedrängt einschieben kann. Salger trägt wohl hier eine gewisse Schuld am Gegentor.

Aber wie immer kommen mehrere Faktoren zusammen, die den Treffer begünstigen. Steinhart, der klar sehen kann, dass Neudecker das Laufduell verlieren wird, muss früher zu Hilfe kommen. Sein Gegenspieler in dieser Situation (Günther-Schmidt) hätte locker von Wein übernommen werden können. So kommt Steinhart zu spät, als er sich schließlich doch zum Eingreifen entscheidet und kann Jänickes Flanke auf Shipnoski nicht mehr verhindern. Belkahia, in dessen Rücken Shipnoski einläuft, kann aufgrund der menschlichen Anatomie die am Hinterkopf keine Augen vorsieht, ohne entsprechendes Kommando von Salger oder Hiller nicht entsprechend reagieren. Und auch Torhüter Hiller trifft, sieht man davon ab, dass er Semi Belkahia wahrscheinlich nicht vor Shipnoski warnt, keine Schuld.

Der zweite Gegentreffer

Auch das 2:0 verteidigen die Löwen brutal inkonsequent. Ein Einwurf auf der linken Angriffsseite der Saarbrücker etwa auf Höhe der Strafraumbegrenzung von Breitenbach kommt zu Deville, der nicht energisch genug von Willsch angegangen wird. Deville geht einige Schritte unbedrängt und schlägt eine flache Flanke in den Strafraum an die Fünfermarkierung zentral vor dem Tor zu Jacob. Salger versucht Jacob etwas unbeholfen, aber komplett wirkungslos, zu stören. Jacob kann auf Günther-Schmidt, der Erdmann in dessen Rücken entkommt, ablegen. Hiller ist bei Günther-Schmidts Schuss unter die Latte chancenlos.

Dieses Tor war noch unnötiger als das vorhergehende. Marius Willsch hätte viel energischer gegen Deville verteidigen müsssen. Möglicherweise war es der zuvor gegen ihn vom Schiri verteilten gelben Karte (seine Fünfte) geschuldet, dass er das nicht getan hat. Aber wenigstens am Mann zu bleiben hätte man hier von Willsch erwarten können. Auch Daniel Wein schaut Deville bei seiner Aktion lieber aus sicherer Entfernung zu anstatt einzugreifen.

Das Tor der Löwen

Aus einer Pressingsituation auf der linken Seite der Saarbrücker Abwehr etwa auf halber Höhe zwischen Grund- und Mittellinie erobert Erdmann in der 67. Minute gegen Günther-Schmidt das Leder und flankt nach halbrechts an den Sechzehner. Dort wehrt Zellner den Ball zu seinem Kollegen Perdedaj ab, dem der Ball verspringt und direkt vor Mölders Füßen landet. Sascha Mölders versenkt die Kugel freistehend aus halbrechter Position. Batz ist hier chancenlos.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war das Spiel, abgesehen von zwei Situationen der Saarbrücker in der 81. Minute, als Shipnoski eine flache Flanke von Jacob, der in dieser Situation von Dressel in der Box nur begleitet und nicht angegriffen wird, verpasst und in der 88. Minute, als Golley nach einem Konter an Hiller scheitert, in Löwenhand. Leider wurden die Situationen, die durchaus vorhanden waren, nicht gut zu Ende gespielt bzw. die Chancen kläglich vergeben.

Ein Spiel, in dem der TSV 1860 mit dem von Batz gehaltenen Elfmeter, Staudes Pfostentreffer und Biankadis Geschenk an Saarbrücken genug Chancen hatte, um einen Punkt zu holen, geht unglücklich aber letztendlich doch verdientermaßen verloren.

Fazit

Der Druck, den Saarbrücken aufbauen konnte, weil der TSV 1860 in der ersten Halbzeit kaum zweite Bälle gewinnen konnte und auch im Aufbau aus der Abwehr heraus gegen die teilweise mit fünf Spielern hoch pressenden Saarbrücker kein adäquates Mittel fand, die eigenen Offensivbemühungen zum Rollen zu bringen, führte letztlich zu vermeidbaren Fehlern. Beide Tore wären klar vor der eigentlichen Torchance zu verteidigen gewesen. An beiden Gegentoren war Salger nicht unwesentlich beteiligt. Ihm jedoch hier alleine den schwarzen Peter zuzuschieben wäre der falsche Ansatz. Beide Tore der Saarbrücker müssen schon in der Entstehung auf den Flügeln besser verteidigt werden.

Wer die Spielweise oder die Herangehensweise an das offensive Spiel kritisiert, wie es in den sozialen Medien schon wieder massenweise geschieht, übersieht einen essentiellen Baustein: den Gegner. Man muss darauf antworten, was der Gegner anbietet. Stellt eine spielstarke Mannschaft die kurze Eröffnung mit fünf Mann zu, kann ich nicht das Risiko gehen und kurz von hinten herausspielen. Wenn dann dem Gegner eine Pressingattacke gelingt, geht das Lamento genau in die andere Richtung und die Masse der Sofatrainer kritisiert, dass man gegen so ein Pressing kurz aufbaut. Also genau hinschauen und nicht den Spielaufbau, sondern die großen Abstände im Mittelfeld kritisieren, die in den Situationen um den 2. Ball letztlich viele der Ballgewinne der Saarbrücker begünstigt haben. Dann wird ein Schuh draus und die Kritik hat Hand und Fuß. In der zweiten Halbzeit hatte die Mannschaft des TSV 1860 München das eigene Aufbauspiel dann wieder im Griff.

“Pro Spiel rein statistisch drei klare Torchancen mehr”

Dass bei uns momentan die herausgespielten Chancen nicht verwertet werden können, ist ein viel größeres Problem als unsere Abwehrleistung oder leichte Probleme im Spielaufbau. Es hapert in der Box, speziell vor dem Tor.

Das Torverhältnis von 43:23 ist bezogen auf die Offensivleistung der Löwen ein wenig trügerisch. Nehmen wir die Kantersiege gegen Lübeck (4:1), Halle (6:1) und Mannheim (5:0) mal rein hypothetisch aus der Wertung, haben wir plötzlich nur noch ein Torverhältnis von 28:21. Das wären dann anstatt +20 Tore nur noch +7. Damit würde der Torschnitt des TSV 1860 München von 1,79 auf 1,33 Tore pro Spiel sinken.

Wenn die Sechzger weiter an der Spitzengruppe dranbleiben wollen, muss sich entweder hinsichtlich der Chancenverwertung oder hinsichtlich der herausgespielten Chancen etwas positiv verändern. Bei gleichbleibender prozentualer Chancenverwertung in Abhängigikeit vom xG Wert brauchen wir pro Spiel rein statistisch drei klare Torchancen (xG ≥ 0.2) mehr als wir momentan herausspielen.

Man braucht übrigens anhand der Leistung am Samstag nicht gleich wieder den bevorstehenden Weltuntergang ausrufen. Wir haben momentan eine drei Spiele andauernde Phase mit Ladehemmung. Das wird sich bessern. Am Freitag gegen Unterhaching haben wir einen taumelnden Gegner vor uns, den gilt es umzuknocken.

Datenquelle: http://www.wyscout.com/

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