Eine Reise nach Moldawien (offiziell: Republik Moldau) ist per se ja schon abenteuerlich und steht sicherlich nicht unbedingt bei vielen Leuten ganz oben auf der Prioritätenliste. “Wenn schon, denn schon”, dachte sich unser Leser Stefan und setzte dem ganzen noch die Krone auf. So führte ihn seine Leidenschaft Groundhopping nicht nur nach Moldawien, sondern noch nach Transnistrien, den “Staat im Staat”. Viel Spaß beim Lesen!
Gewinner und Verlierer der Unabhängigkeit
Beim Zerfall der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre lief ja nicht alles so optimal, wie es sich die Leute vielerorts erwünscht hatten. Einigen Teilrepubliken konnte es mit der Unabhängigkeit gar nicht schnell genug gehen, andere wiederum wollten eigentlich gar nicht unabhängig werden, wieder andere würden es gerne, dürfen es aber bis heute nicht. Insgesamt 17 neue Länder sind aus dem, was vorher die UdSSR war, mittlerweile entstanden und haben auch eigene Fußballverbände gegründet.
Bei den ganzen Unabhängigkeitsbestrebungen hat es wohl das jetzige Moldawien am ungünstigsten erwischt: Als am 27. August 1991 die Unabhängigkeit ausgerufen wurde, hat man vollkommen übersehen, dass ein kleiner Landstrich namens Transnistrien gar nicht von der Sowjetunion weg wollte und das auch schon einige Monate vorher deutlich kommuniziert hatte.
Transnistrien als “Staat im Staat”
Die Folge war ein Konflikt mit zahlreichen Todesopfern und ohne wirklichen Sieger. Bis heute gilt der Konflikt als “eingefroren”. Das bedeutet: Transnistrien gehört völkerrechtlich zu Moldawien, fühlt sich aber weiter als souveräner Sowjetstaat. Dumm nur, dass es die Sowjetunion gar nicht mehr gibt und man aufgrund der benachbarten Ukraine nicht einmal eine gemeinsame Grenze zum Nachfolger Russland hat.
Über die Jahre entwickelte sich in Transnistrien somit ein eigener Staat im Staat mit einer eigenen Regierung, einem Sicherheitsapparat, Verwaltung und sogar einer eigenen Währung, deren Münzen witzigerweise aus Plastikchips bestehen.
Das Einzige, was fehlt, ist eine eigene Fußballliga. Der Spitzenclub Sheriff Tiraspol spielt sehr erfolgreich in der moldawischen Liga mit und vertritt das Land üblicherweise im Europacup. Ein Grund mehr, da mal hinzufahren, um sich ein Fußballspiel anzusehen.
Eine Grenze, die eigentlich keine ist
Die Anreise verlief problemlos mit Austrian Airlines in die moldawische Hauptstadt Chisinau, von wo aus es mit dem Überlandbus über die Grenze geht, die keine ist, aber behandelt wird, als wäre sie eine. Während in Chisinau die bekannten lateinischen Schriftzeichen vorherrschen und Wegweiser nach Bukarest, Athen und Sofia zeigen, überwiegt eine Stunde später die kyrillische Schrift mit Verweisen nach Odessa, Krasnodar und Wolgograd.
Die Architektur, die Autos, die Werbung – alles weist darauf hin, dass wir gerade die Grenze von West nach Ost übertreten haben. Beim ersten Rundgang durch die Quasi-Hauptstadt Tiraspol fühlt es sich an, als wären wir in einem Sowjet-Disneyland gelandet. Als wären die zahllosen Lenin-Statuen noch nicht genug, landen wir im Bahnhof der Stadt auch noch in einer echt sowjetischen Kneipe, die komplett aus der Zeit gefallen scheint.
Stadion in Bender als Freudenspender
Für das lange Wochenende ist neben Sightseeing auch der Besuch zweier Fußballspiele geplant. Für das erste Spiel habe ich mich für die zweitgrößte Stadt mit dem wohlklingenden Namen BENDER entschieden.
Dynamo Tighina Bender – Real Success 5:2
2. Liga Moldawien
Stadion Dinamo Bendery
17. August 2019
Beim “Zweitligakracher” (hüstel) traf die Mannschaft von Dynamo Tighina Bender auf ein Team namens Real Success, das seinen Namen aber überhaupt keine Ehre machte und haushoch gegen die Benders verlor. Star des Spiels war jedoch das überragende Stadion, das vier vollkommen überdimensionierte Flutlichtmasten hatte, aber dafür nur eine einzige Tribüne, diese dafür zweistöckig und mit VIP-Logen, zwischen denen der Putz bröckelte. Herausragend!
Zu bemängeln war leider, dass es im Stadion kein Bier gab, positiv überraschte aber der alternde Stadionsprecher mit weit geöffnetem Jeanshemd, der seine Anlage direkt vor uns aufbaute und sich nicht nur einmal lautstark als Box-Ansager versuchte. Fans waren jedoch leider Fehlanzeige. Trotzdem war es ein ganz toller Ausflug in eine ganz andere Welt, der am Abend noch mit einem langen Absacker in einer Russenbar endete!
Die etwas andere Stadtführung
Am nächsten Morgen überredete uns der Hostelbetreiber zu einer außergewöhnlichen Stadtrundfahrt: Da der Landesteil über nicht viel Perspektive für junge Leute verfügt, verlassen überdurchschnittlich viele Menschen das Land. Übrig bleiben verlassene Werkstätten, Krankenhäuser, Schulen oder Freizeitparks, in die man mit einigen Kontakten (a.k.a. “Hostelbetreiber”) und ein paar Flaschen Wodka als Pfand einsteigen kann. Unbeschreiblich.
Eine Schule, die vor fast 30 Jahren Hals über Kopf aufgegeben wurde, und durch deren Ritzen seitdem das Gras wächst, während die liegengelassenen Schulbücher vermodern. Ein altes Krankenhaus mit verlottertem Zahnarztstuhl oder ein total zerfallenes Theater. Das war wirklich eine der besten “Stadtführungen”, die ich jemals machen durfte.
Groundhopping Moldawien beim Serienmeister
Sheriff Tiraspol – FC Milsami Orhei 2:1
Moldova Nationata
Stadion Bolshaya Sportivnaya Arena
18. August 2019
Den zweiten Teil des “Abenteuers Fußball” verbrachten wir dann noch beim Rekordmeister Sheriff Tiraspol. Der 1996 gegründete Verein wurde 18-mal moldawischer Meister und konnte auch schon viermal bis in die Gruppenphase der Europa League vordringen. Im September 2021 gelang in der Champions League gar ein 2:1-Sieg bei Real Madrid!
Hauptsponsor und Vereinseigner ist das Unternehmen “Sheriff”, der staatseigene Betrieb, dem in schönster Oligarchenmanier auch die Fernsehsender, Supermärkte und Tankstellen des Landes gehören. Mit diesem “Sheriff”-Unternehmen herrscht ein gewaltig kapitalistischer Hauch im romantischen Sozialismus, meine Herren!
Seelenloser Bau am Stadtrand
Das schwarz-gelbe Sheriff-Stadion aus dem Jahr 2002 mit 13.000 Plätzen ist leider ein typischer seelenloser Bau am Stadtrand ohne Besonderheiten. Nur wenige Tage vor dem Spiel verlor Sheriff ganz knapp gegen AIK Solna in der 3. Quali-Runde der Europa League mit 1:1/1:2 und so war die Luft in diesem Spiel raus. Weder von den wenigen Fans noch von der Mannschaft kam viel Engagement. Nichts Negatives ohne etwas Positivem: Der Eintritt war kostenlos und so konnten die dafür zurück behaltenen transnistrischen Rubel für Bier (für umgerechnet 50 Cent die Halbe) verwendet werden. Auf dem Platz gabs ja nicht viel zu verpassen!
Nach vier Tagen in der „Sowjetunion“ und zwei Spielen der moldawischen Liga sowie jeder Menge skurriler Eindrücke ging es dann wieder mit dem Nachtflug über Wien nach Hause.
Groundhopping auf sechzger.de
In den letzten Monaten erschienen bereits einige Groundhopping-Artikel auf sechzger.de. Hier eine kurze Übersicht:
Groundhopping Rumänien
Groundhopping Mazedonien bzw. Nordmazedonien
Groundhopping Armenien
Groundhopping Thailand
Groundhopping Ukraine
Groundhopping Kuba
Groundhopping Montenegro
Groundhopping Indien
Groundhopping Kirgisistan
Groundhopping Saudi-Arabien
Groundhopping Antarktis (Südgeorgien)
Groundhopping Kolumbien
Groundhopping Indonesien
Groundhopping Laos
Groundhopping Georgien
Groundhopping Sansibar