Fast schon traditionell nutzte ich das erste Wochenende nach dem Saisonende der Löwen, um mir auf dem Balkan noch ein bisschen Fußball reinzuziehen. Die Wahl fiel diesmal auf Tuzla, da a) dort noch Ligaspiele stattfanden und b) die Flüge ab Memmingen günstig waren. Groundhopping Bosnien – drei Tage, vier Grounds, sechs Spiele!

Kriegsgebiet Tuzla

Was verbindet Ihr mit Tuzla? Irgendwie denkt man automatisch an den Bosnien-Krieg vor rund 30 Jahren, oder? Die Stadt nahm dabei eine ganz besondere Rolle ein, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Städten wurde Tuzla damals nie von nationalistischen Parteien regiert. Auch während des Krieges arbeiteten bosniakische, kroatische und serbische Bewohner weiterhin zusammen und verteidigten die Stadt gemeinsam gegen die Angriffe serbischer Einheiten.

Im Winter 1993/1994 war die Stadt zeitweilig ganz von serbischen Truppen eingekesselt, was zu einer teilweise dramatischen Versorgungslage führte. Tuzla war damals aufgrund dieser Gemengenlage auch das Ziel vieler Flüchtlinge aus anderen Landesteilen.

Serbischer Granatenangriff am Tag der Jugend

Just auf das Wochenende meines Besuchs fiel der 29. Jahrestag des fatalen serbischen Granatenangriffs auf Tuzla, als 71 zumeist junge Menschen, die in der Innenstadt den Tag der Jugend feierten, bei der serbischen Attacke ums Leben kamen. Entsprechend gedrückt und melancholisch war die Stimmung in der Stadt, was es mir jedoch erleichterte, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und einiges über die Geschichte des Landes und der Stadt zu erfahren.

Dennoch ist es schon krass, wenn man sich vor Augen führt, wie nahe an Deutschland damals ein Krieg geführt wurde. Klar, wir sind damals auf der Fahrt nach Smederevo auch mit dem Bus durch Belgrad gefahren und haben zerschossene Häuser gesehen, aber so direkt vor Augen geführt habe ich das noch nie bekommen wie jetzt in Tuzla.

Groundhopping Bosnien

Der eigentliche Grund für meinen Besuch in Bosnien war jedoch mein Hobby Groundhopping. Wer es nicht kennt: Es geht darum, möglichst viele Fußballspiele in verschiedenen Stadien zu besuchen. Kostet Zeit, Geld und Nerven, macht aber auch Spaß. Bosnien war für mich Land Nummer 35 und glaubt mir, im Vergleich zu anderen ist das echt wenig…

Da mein Flug am Nachmittag ging, hatte ich relativ wenig Hoffnung, am Freitag noch ein Spiel zu sehen, doch schon in der Luft meinte es der Pilot gut mit mir, holte etwas Zeit rein, mein Taxifahrer stand am Flughafen auch bereit und da am Airport eh kein Geschäft aufhatte, in dem ich mir eine bosnische SIM-Karte hätte kaufen können, ging es direkt zum Stadion, das praktischerweise nur einen Steinwurf von meiner Unterkunft entfernt lag.

Und siehe da – es lief sogar noch die erste Halbzeit des Erstligaspiels zwischen FK Tuzla City und FK Velez Mostar. Am Ende gingen die Gastgeber mit 1:5 unter, der Abstieg war ohnehin bereits besiegelt. Apropos Gastgeber: Eigentlich ist der Verein vor den Toren Tuzlas im Dorf Simin Han beheimatet, erlebte jedoch einen sportlichen Aufschwung, als sich der einstige Geldgeber von Sloboda Tuzla vom Vorzeigeclub abwandte und sein Geld im Vorort reinsteckte. Das Resultat: Aufstieg, Umzug ins Stadion von Sloboda, keinerlei Interesse der Bevölkerung und Abstieg. Völlig zurecht natürlich!

Morbide Stimmung in der Stadt

Nach dem Spiel dann endlich in der Unterkunft eingecheckt, die trotz des Preises (35 Euro für drei Nächte) erstaunlich sauber und gut gelegen war. Die benötigte SIM-Karte hab ich im nahen Einkaufszentrum auch noch erwerben können und somit war eigentlich alles geregelt. Ach ja: Die erste Ladung Cevapi und die erste lokale Bierspezialität waren natürlich auch noch fällig, aber dann war erstmal Schlafen angesagt.

Am Samstag stand zunächst Sightseeing auf dem Programm, was angesichts der geschichtlichen Dimension sehr prägend war. Der Krieg ist doch immer noch sehr gegenwärtig, überall sind Gedenktafeln, Gräber, Friedhöfe und Denkmäler zu sehen. Insgesamt hat Tuzla nicht allzu viel zu bieten, die drei künstlich angelegten Salzseen unweit des Stadtzentrums sind jedoch absolut sehenswert und angesichts der Temperaturen musste ein kurzes Bad sein.

Groundspotting und Jugendfußball

Es folgte ein Runde Groundspotting im nicht bespielten Campus Stadion, eine ordentliche Mahlzeit in der Brauereigaststätte und am späten Nachmittag ein Jugendspiel auf dem Nebenplatz des Tusanj-Stadions. Dabei schlug die U15 des FK Sloboda Tuzla den gleichaltrigen Gegner von OFK Gradina Srebrenik mit 4:1.

Der eigentliche Fußballtag sollte dann der Sonntag werden, doch wie schon vor zwei Jahren in Montenegro war ausgerechnet an dem Tag schlechtes Wetter und es schüttete zeitweise ziemlich heftig. Dennoch machte ich mich per pedes in Richtung des Stadteils Slavinovici. Leider war der Spielbetrieb unterhalb der 2. Liga bereits beendet, doch auch hier wurde noch Jugendfußball gespielt. Bereits im Vorfeld stand ich mit dem U15-Trainer des Clubs in Kontakt, der mich dann freudestrahlend begrüßte und sogar einlud, das Spiel seiner Jungs mit ihm von der Bank aus zu verfolgen.

Besuch beim Heimatverein von Vedad Ibisevic

Da ich so früh dran war, hatte ich sogar die Möglichkeit, dort zwei Partien zu sehen. Zunächst trennten sich die U13-Teams des FK Proleter Tuzla und von NK Konjuh Kladanj mit 3:3, anschließend schlug die U15 des Heimvereins die Gäste mit 2:0.

Fun Fact 1: Nach dem Match folgten mir plötzlich einige der Jugendspieler auf Instagram, weil die der festen Überzeugung waren, ich sei ein Scout aus Deutschland.

Fun Fact 2: Der FK Proleter, was im Übrigen nichts anderes heißt als Arbeiter, ist der Jugendverein des späteren bosnischen Nationalspielers Vedad Ibisevic, den man ja auch aus der Bundesliga kennt.

Fallrückzieher-Tor bei FK Sloboda Tuzla

Nächster Halt war dann das oben bereits erwähnte Simin Han, der Ort, in dem der FK Tuzla City beheimatet ist. Im kleinen Stadion BARE wurde der Naturrasen vor geraumer Zeit durch einen teilweise bläulich schimmernden Kunstrasen ersetzt, das grausame Mittagessen in der Dorfboazn und das bescheidene Wetter rundeten das doch sehr enttäuschende Erlebnis vor den Toren der Stadt ab. Auf dem Platz siegten die Gäste von Borac Banja Luka bei der U15 von Tuzla City mit 0:1 und mit Abpfiff gings per Taxi endlich mal zu ordentlichem Fußball.

Es schüttete in Strömen, als ich am Stadion Tusanj ankam, also gönnte ich mir einen überdachten Sitzplatz und traf damit die richtige Entscheidung. Die Gastgeber waren zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer der 2. bosnischen Liga und empfingen die ambitionierten Gäste von NK Bratstvo Gracanica. Sloboda präsentierte sich hochüberlegen und ging durch einen sehenswerten Fallrückzieher in Führung. Danach ließen die Hausherren zahlreiche Chancen liegen, ehe in der zweiten Halbzeit doch noch der Treffer zum 2:0-Endstand gelang. Am Saisonende konnte Sloboda die Meisterschaft bejubeln und kehrt somit wieder in die 1. Liga Bosniens zurück. Die Verhältnisse in Tuzla sind also wieder geradegezogen.

Groundhopping auf sechzger.de

In den letzten Monaten erschienen bereits einige Groundhopping-Artikel auf sechzger.de. Hier eine kurze Übersicht:

Groundhopping Rumänien
Groundhopping Mazedonien bzw. Nordmazedonien
Groundhopping Armenien
Groundhopping Thailand
Groundhopping Ukraine
Groundhopping Kuba
Groundhopping Montenegro
Groundhopping Indien
Groundhopping Kirgisistan
Groundhopping Saudi-Arabien
Groundhopping Antarktis (Südgeorgien)
Groundhopping Kolumbien
Groundhopping Indonesien
Groundhopping Laos
Groundhopping Georgien
Groundhopping Sansibar
Groundhopping Moldawien/Transnistrien
Groundhopping Nordkorea
Groundhopping Bulgarien
Groundhopping Senegal
Groundhopping Gambia
Groundhopping Guinea-Bissau
Groundhopping Frankreich
Groundhopping Kosovo & Nordmazedonien

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Kraiburger

Die neueren Handies bieten mittlerweile eine eSim-Funktion an. Über verschiedenen Anbieter (zB Airalo) läuft das mittlerweile problemlos! Dann hast du das gehetze und das Austauschen der SIM-Karte nicht.

Ansonsten: Top-Bericht!