Über 100 Länder hat unser Leser Stefan mittlerweile bereist und in den meisten davon auch mindestens ein Fußballspiel gesehen. Kürzlich verschlug ihn seine Leidenschaft Groundhopping (und der Winterurlaub mit der Familie) ins ferne Sri Lanka, wo er natürlich auch den heißbegehrten Länderpunkt eintüten konnte. Viel Spaß mit seinem Erlebnisbericht!

Groundhopping Sri Lanka

Ich habe das Land gefunden, in dem sich niemand für Fußball interessiert. In dem keine Kinder mit Messi- oder Ronaldo-Trikots auf der Straße herumlaufen. In dem nicht am Stammtisch über die letzte Niederlage philosophiert wird. In dem es keinen Ligabetrieb gibt. Und vor allem: In dem man keine dummen Nachfragen bekommt, wenn man dem Taxifahrer erklärt, man sei aus München.

In Sri Lanka, der Nachbarinsel Indiens, findet seit 2017 kein regulärer Spielbetrieb von Fußballmannschaften mehr statt. Der Staat, der seit 1948 vom Vereinigten Königreich unabhängig ist und sich davor Ceylon nannte, ist vor allem für seinen Tee und sein Cricketspiel bekannt. Aber der tolle Rasensport ist dort so dermaßen unbekannt, dass die Hotelangestellten in ihrer Nachmittagspause auch lieber zum Holzschläger greifen und ein paar Bälle ins Meer schlagen, anstatt dem runden Leder nachzujagen.

Und so beginnt auch die Herausforderung…

Wenn es keine 1. Liga gibt, gibt es auch keine 2. Liga. Und auch nichts darunter. Generell gibt es überhaupt keine Infos über Fußball in Sri Lanka. Das Interesse ist so gering, dass sogar die offizielle Verbandsseite im Internet seit nachweislich 8 Jahren nicht mehr erreichbar ist. Zumindest auf den sozialen Medien gibt es Gott sei Dank jemanden, der wohl im offiziellen Auftrag gelegentlich darüber informiert, dass ein verpflichtetes Jugendspiel irgendeiner U-Nationalmannschaft “übermorgen” in einer weit entfernten Ortschaft mit vielen Konsonanten stattfinden könnte. Hilfreich ist das nicht. Auch verfügt die ganze Insel von der Größe Bayerns über kein Stadion, in dem die FIFA es zulässt, Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaften abzuhalten. Und so verringern sich die Möglichkeiten, in diesem Land ein Spiel sehen zu können, zusehends.

Wohl dem, der sich diese Insel zu seinem Familien-Winterurlaub ausgesucht hat. Denn irgendwie wird dann hoffentlich doch noch die Chance bestehen, irgendwo auf dieser Insel innerhalb von 3 Wochen ein Stadion von innen sehen zu dürfen.

Qualifikation als Chance?

Ein Hoffnungsschimmer war auch, dass für den 18. November ein Qualifikationsspiel der Nationalmannschaft zur Asienmeisterschaft angesetzt war. Aber ob dieses Spiel der ersten Qualirunde gegen die übermächtigen Thais wirklich stattfinden sollte? Und dann wirklich auch in Sri Lanka? Das war lange zu bezweifeln.

Ein zweiter Hoffnungsschimmer entstand, als eine ominöse Seite auf Instagram ein paar Tage vor meiner Abreise dann noch vermeldete, dass der Verband tatsächlich vorhatte, am 8. November – erstmals nach 2017 wieder – einen regulären Spielbetrieb zu beginnen und hierfür auch bereits die 16 teilnehmenden Mannschaften bekannt gab. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass es zu keinem dem 16 potenziellen Teilnehmer auch nur ansatzweise irgendwelche brauchbaren Infos im Netz gab. Und zwar gleich auch so wenig, dass sogar ChatGPT verzweifelte.

Wenige Tage vor dem angekündigten Ligastart – und immer noch um keine Information reicher – war mein Frust dann so riesengroß, dass ich auf Instagram ausnahmslos alle einzelnen Kommentatoren unter dem ursprünglichen Ankündigungspost persönlich anschrieb und um Hilfe bat. Selbst wenn der Post nur aus einem Fire-Smiley und der Flagge Sri Lankas bestand, waren sie nicht sicher vor mir. Es waren insgesamt 18 Kommentare, das Feedback war ebenfalls überschaubar. Nur ein einziger antwortete mir, dass die Liga wegen Regen abgesagt sei. Zumindest bestätigte er mir, dass das Länderspiel gegen Thailand tatsächlich in Colombo stattfinden solle. Außerdem sei er so nett und könne mir für das Spiel eine Freikarte besorgen. Dass dieser Kontakt tatsächlich die Wahrheit schreiben könnte, wurde mir letztendlich durch Google bestätigt. Schließlich schrieb ich gerade mit dem Nationaltrainer der Heimmannschaft…

500 Freikarten fürs Länderspiel

Die größte Sorge war also gebannt und ich konnte die ersten beiden Urlaubswochen mit meiner Familie an den tollsten Plätzen der beeindruckenden Insel genießen.

Um auf Nummer sicher zu gehen und auch, um den Nationaltrainer an seinem Arbeitstag nicht über Gebühr zu belästigen, verfolgte ich dennoch weiterhin den Informationsstand rund um das Spiel. Aus Respekt vor den erwartungsgemäß anreisenden “Ultras Thailand” wollten auch die paar wenigen Fußballfans Sri Lankas einen ordentlichen Support auf die Beine stellen und versprachen den ersten 500 Interessenten, die sich für eine bestimmte WhatsApp-Gruppe anmeldeten, ebenfalls Freikarten fürs Spiel.

Um es irgendwann mal kurz zu machen: Auch eine Whattsapp-Gruppe mit 500 Bewonner*Innen Sri Lankas, deren Alphabet einer an die Wand geklatschtem Teller Spaghetti gleicht, ist auch nur bedingt informativ!

Hopper-Treffen in der Sportsbar

Am Dienstag, den 18. November war aber dann der Tag endlich gekommen. Da sich am Vortag die publizierten Anstoßzeiten immer wieder veränderten, ließ ich meine Familie schon relativ früh am Pool zurück und genoss das Leben in einem vollen Zug bei offener Tür, um rechtzeitig in der Hauptstadt Colombo zu sein. Bereits um 10 Uhr war ich also am Stadion und sah es mir mal genauer an, da ich problemlos überall rein klettern konnte. Auf der Haupttribüne war der Unterrang der Elite vorbehalten, während sich der Pöbel, bestehend aus den “Ultras Thailand” und den 500 Freikarten Sri Lankas, auf dem Oberrang traf. Beide Ränge waren mit demselben Aufzug erreichbar und führten im Erdgeschoss direkt in ein Sportgeschäft. Es gab keine Hintertortribünen, und auf der Gegenseite stand lediglich ein kleiner Fernsehturm. Einzig neben der Haupttribüne war noch eine weitere Tribüne mit Blick hinters Tor platziert. Wohl ein Relikt aus der Zeit des Stadions als Pferderennbahn, daher auch der Name “Racecourse Ground”.

Zur Überbrückung bis Anpfiff 14:45 Uhr (an einem Dienstag!) war noch etwas Zeit und ich ließ mich in der einzigen Sportsbar der Umgebung nieder. Und wen wundert es: Mit der Zeit trafen insgesamt knapp 30 deutsche Groundhopper in eben jener Bar ein. Die Chancen, mal ein Spiel in Sri Lanka zu sehen, sind nunmal nicht allzu groß. Aber welch Überraschung: Jeder der Lauterer, Schalker, Bamberger, Gladbacher oder Dortmunder Fußballtouristen ist über irgendeinen Weg an mindestens eine Freikarte fürs Spiel gekommen.

Zwei “Deutsche” für Sri Lanka

Vom Spiel war nicht viel zu erwarten. In Thailand ist Fußball mittlerweile professionell aufgebaut und schon vor fast 10 Jahren konnte ich mir dort ein Länderspiel vor 60.000 Zuschauern ansehen. Auf dem Papier war der 95. der Weltrangliste (Bulgarien auf der 88) zu Gast beim 194. (Gibraltar auf der 201). Mit einer großen Überraschung war also nicht zu rechnen. Für Sri Lanka waren auch zwei Deutsche in der Startelf: Claudio Kammerknecht von Dynamo Dresden, sowie in seinem ersten Auftritt Geremi Perera vom Bayernligisten SC Eltersdorf, der die Abwehr weitestgehend zusammenhielt. Für Thailand waren Bell von Grimsby Town und Mikelsen aus Elversberg am Ball.

Die erste Halbzeit hielt sich die thailändische Mannschaft noch etwas zurück und man konnte die Atmosphäre vom “Oberrang” aus genießen. Die “Ultras Thailand” waren tatsächlich angereist, hatten sich vor Spielbeginn nicht in die “deutsche” Bar getraut, aber auf der Tribüne durchaus einigermaßen ihren Spaß. Die “Thousend Hands” der 500 Freikarten Sri Lankas versuchten, dem ebenbürtig entgegenzustehen. Man hatte sich mit dem Verteilen unzähliger Nationalflaggen und sogar einem eigenen Maskotchen (ein Löwe) einiges vorgenommen. Gesangestechnisch den Vogel schoss aber so ein komischer Typ ab, der während der ersten Halbzeit ein durchaus brauchbares “Sechzig München Olè” in Colombos Nachmittagshimmel schrie. Den Spieler aus Eltersdorf hats gefreut, denn er hat mir dankend gewunken.

Zur zweiten Halbzeit wurde das Spiel dann etwas klarer: Thailand dominierte zusehends trotz immer stärker aufziehendem Gewitter, und auch die Bar von unten schaffte es endlich, ihre Biervorräte auf die Tribüne zu liefern. Am Ende gewann Thailand verdient mit 4:0 durch Tore von Bell (2), Suengchitthawon und Hemviboon.

Nächster Schicksalsschlag für Sri Lanka

Da das Gewitter keine Anzeichen machte, sich zu beruhigen, entschloss ich mich für die Rückfahrt zum 70 Kilometer entfernten Hotel für ein Taxi. Das dauerte zwar ebenfalls zwei Stunden, aber kostete lediglich umgerechnet 30 Euro. Während ich mit meiner Familie zwei Tage später die Insel nach drei wunderbaren Wochen wieder verließ, blieb das Gewitter leider zurück. Aus dem anfänglichen Sturm entwickelte sich ein höchst gefährlicher Zyklon, der die Insel überschwemmte und 190 Menschenleben forderte.

Viele Orte, die wir wenige Tage zuvor noch besuchten, wurden beschädigt und zeitweilig vom Tourismus abgeschnitten. Wasserfälle, die wir kurz zuvor noch als kleine Rinnsale erlebten, wurden wenige Tage später zur reißenden Todesfalle. Nach dem Bürgerkrieg, Tsunami und Corona trifft dem Land schon wieder ein Schicksalsschlag und bleibt zu hoffen, dass es sich bald und gut davon erholen kann.

Groundhopping auf sechzger.de

In den letzten Monaten erschienen bereits einige Groundhopping-Artikel auf sechzger.de. Hier eine kurze Übersicht:

Groundhopping Rumänien
Groundhopping Mazedonien bzw. Nordmazedonien
Groundhopping Armenien
Groundhopping Thailand I
Groundhopping Thailand II
Groundhopping Ukraine
Groundhopping Kuba
Groundhopping Montenegro
Groundhopping Indien
Groundhopping Kirgisistan
Groundhopping Saudi-Arabien
Groundhopping Antarktis (Südgeorgien)
Groundhopping Kolumbien
Groundhopping Indonesien
Groundhopping Laos
Groundhopping Georgien
Groundhopping Sansibar
Groundhopping Moldawien/Transnistrien
Groundhopping Nordkorea
Groundhopping Bulgarien
Groundhopping Senegal
Groundhopping Gambia
Groundhopping Guinea-Bissau
Groundhopping Frankreich
Groundhopping Kosovo & Nordmazedonien
Groundhopping Bosnien
Groundhopping Taiwan
Groundhopping Tunesien
Groundhopping Algerien
Groundhopping Türkei
Groundhopping Galicien (Teil I / Teil II)
Groundhopping Madrid (Teil I / Teil II)
Groundhopping Ecuador (Teil I / Teil II)
Groundhopping Albanien I
Groundhopping Albanien II (Teil 1 / Teil 2)
Groundhopping Schweden (Teil I / Teil II)
Groundhopping Finnland
Groundhopping Norwegen
Groundhopping Litauen
Groundhopping Lettland
Groundhopping Kanada

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